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Kultur: Ganz in Weiß

Die lebende Legende Georges Moustaki begeisterte im Nikolaisaal

Weiß, die Farbe der Reinheit sowie des Entstehens und Vergehens, war schon immer das Wahrzeichen von Georges Moustaki. Jetzt, mit 71 Jahren, wirkt er zeitloser und entrückter denn je. Doch die poetische Aura seiner Lieder ist ungebrochen.

Als die lebende Legende auf die Bühne kommt, braust Jubel im ausverkauften Nikolaisaal auf. Natürlich ist Georges Moustaki weiß gekleidet, schlohweiß sind die Haare, weiß der Bart. Schlank ist er, leicht gebeugt, doch er wechselt locker zwischen Klavier, Gitarre und Akkordeon hin und her. Manchmal braucht er eine Lesebrille, besonders bei Liedern aus jüngerer Zeit.

Nostalgisch bleibt die Stimmung, selbst dann wenn Moustaki und seine vier ebenfalls weiß gewandeten Musiker manchmal ganz schön fetzig aufspielen. Ein Abend voller Erinnerungen an die Aufbruchszeit der siebziger Jahre, als die Welt von den romantischen Sehnsüchten der Blumenkinder und dem Hoffen auf politische Verbesserungen erfüllt war. Die Lieder von Georges Moustaki drückten dieser Zeit einen unverwechselbaren Stempel auf. Doch er zelebriert sie nicht, er zitiert sich nicht, sondern er singt schlicht und selbstverständlich mit dem von der Zeit zerfurchten Timbre seiner Stimme. Etwas rauh klingt sie, nicht mehr ganz so weich und beweglich, aber immer noch ungewöhnlich empfindsam und zärtlich. Moustaki ist sich treu geblieben, auch wenn die Zeichen der vorbeieilenden Zeit nicht überseh- und überhörbar sind.

Georges Moustaki, das ist meine Zärtlichkeit, sagte einst die Sängerin Barbara, für die er viele Lieder schrieb. Die Vergänglichkeit ist das große Thema des Konzerts. Wohin sind die Kindheit „Mon enfance“, die Freunde „Ou sont parti les compagnons“, die Lieben verschwunden? Vielleicht gibt es einst ein Wiedersehen, heißt es im Lied über den geliebten Großvater, das mit Sirtakiklängen auf Moustakis griechische Heimat weist.

Doch Moustaki ist ein Weltenwanderer, so wie er es in seinem Lied „Le Métèque“ gesagt hat. Aus dem griechisch-jüdischen Jungen, der im ägyptischen Alexandria aufwuchs, wurde ein französisch singender Sänger-Poet, ein moderner Troubadour, dessen Lieder weltweit gespielt werden. Natürlich bringt er diese Lieder, wie „Ma liberté“, „Ma solitude“, „Il y“avait un jardin“ auch jetzt zu Gehör, doch mit einer Geste der Vergänglichkeit. Allzu viel Beifall wehrt der schmale Mensch mit den feingliedrigen Händen ab und beginnt lieber mit einem neuen Stück. Denn Moustaki wusste schon immer, wie schnell die Zeit vergeht – außer beim Singen, Lieben, Träumen, wie es im unvergleichlichen Chanson „Il est trop tard“ heißt.

Übrig geblieben sind auch die Ideale der Freiheit und der Gerechtigkeit, die Moustaki im Marsch von Sacco und Vanzetti und anderen einstigen „Protest-Liedern“ leise aufleben lässt.

Eine gut aufgelegte Band unterstützt den Grandseigneur des poetischen Chansons. Am Schlagzeug sitzt mit Luis-Augusto Cavani ein veritabler Jongleur der Sticks, Marc Madoré gibt den stoischen Bassisten, der lockenköpfige, pausbäckige Francis Jauvain entlockt dem Akkordeon und dem Saxophon die melancholischsten Klänge überhaupt und der graumelierte Antonio do Carmo erzeugt mit seriöser Miene herrliche Töne auf Gitarre und Ukulele.

Die zärtlichsten Erinnerungen gelten jetzt der Mutter, von der im neuen Lied über die „Jüdischen Mammes“ liebevoll und anrührend erzählt wird. Dieses Lied ist Georges Moustaki so wichtig, dass er es sogar auf Deutsch singt, „ein historisches Datum“ wie er sagt, denn er hätte nie gedacht, dass er mal in dieser Sprache singen würde. Nach vier immer feuriger werdenden Zugaben verabschiedet sich der charismatische Sänger von seinen begeisterten Zuhörern.

Babette Kaiserkern

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