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Kultur: Gedankenbuch und Geschichte

Die Potsdamer Schriftstellerin Julia Schoch über ihre preisgekrönte Übersetzung von Hyvernaud

Frau Schoch, für Ihre Übersetzung von Georges Hyvernauds „Haut und Knochen“ sind Sie mit dem André-Gide-Preis ausgezeichnet worden. Ein schmales, aber äußerst ausdrucksstarkes Buch eines Schriftstellers, den bislang nur wenige kannten. Wie sind Sie auf Georges Hyvernaud gekommen, von dem Sie auch „Der Viehwaggon“ übersetzt haben?

Ich war 2005 im Rahmen des Georges-Arthur-Goldschmidt-Literaturübersetzerprogramms in Frankreich und habe mich in Paris bei den Verlagen über Neuerscheinungen informiert. Da habe ich natürlich eine Menge Bücher mit nach Hause genommen, unter anderem auch von George Hyvernaud. Und beim Durcharbeiten des Bücherstapels war mir ziemlich schnell klar: Das ist es!

Und was war ausschlaggebend für dieses: Das ist es!?

Am Anfang war das ja nur ein Querlesen bei dem Bücherstapel, den ich da vor mir hatte. Da waren auch viele Romane dabei, die im herkömmlichen Sinn eine Geschichte erzählt haben. Als ich dann Hyvernaud aufgeschlagen habe, war das wie ein Schnitt. Keine schöne Exposition, die man ja in der französischen Literatur durchaus gewöhnt ist. Der geht gleich ganz anders rein. In „Der Viehwaggon“, die erste Szene, das ist wie ohne Anfang und ohne Ende. Ganz unvermittelt ist man mittendrin. Und auch von der Konzeption des Buches war das so schön radikal. Denn da ist nichts überschaubar und man fragt sich, wo das hingehen soll. Er ringt ständig mit der Form. Wobei Sie mich nicht falsch verstehen dürfen. Hyvernaud beherrscht sie in beiden Büchern souverän, gleichzeitig merkt man aber, dass er ständig nach einer passenden Form sucht.

Und warum dann diese ständige Suche?

Weil Form ja immer auch Verharmlosung und Befriedung bedeutet. Dem will er zwar ausweichen, gleichzeitig aber muss er darüber schreiben. Dieses Dilemma, dass es im Grunde dafür keine Form gibt, er es aber trotzdem immer wieder versucht.

In „Haut und Knochen“ und „Der Viehwaggon“ hat Georges Hyvernaud seine fünfjährige Kriegsgefangenschaft in Deutschland und seine Ernüchterung nach seiner Rückkehr nach Frankreich verarbeitet. Zwei Bücher die damals kaum Beachtung fanden und Hyvernaud zu einem radikalen Schritt bewogen: Er verstummte als Schriftsteller.

Das ist wirklich dramatisch. Und ich versuche mir vorzustellen, was ein Mensch die ganze restliche Zeit macht. Was macht der mit seiner Wut, seinem Können. Aber wer so kompromisslos und radikal als Schriftsteller ist, der ist das dann natürlich auch im Umgang mit sich selbst. Ich glaube Hyvernaud hatte auch nicht das Talent, auf Cocktailpartys rumzustehen oder sich in den Vordergrund zu drängeln. Als Schriftsteller muss man etwas können, gleichzeitig aber auch diese Öffentlichkeit können.

Aber diese Wut in Hyvernauds Schreiben erinnert an einen anderen großen französischen Schriftsteller.

Ja, ich glaube auch, dass er sich da an Louis-Ferdinand Céline orientiert hat. Dieser Schwung, dieser Furor, da sind die beiden sich schon ähnlich.

Sie sind selbst Schriftstellerin und werden Ihre Wahl für Hyvernaud auch nach schriftstellerischen Gesichtspunkten getroffen haben.

Bei Hyvernaud finden wir nicht einfach nur das Aberzählen einer Geschichte. Das ist ein Vermischen von Gedankenbuch und Geschichte. Und das ist es ja auch, was mich als Schriftstellerin reizt. Für mich ist das nur Erzählen immer zu wenig. Als ob da immer noch etwas hinzukommen müsste. Das lässt sich schwer erklären. Da zeigt sich mehr eine Haltung oder ein Blick, wie abständig man zu einem Geschehen ist. Bin ich nur der Aufschreiber von etwas oder bin ich mehr? Vielleicht auch der Bewerter oder setze ich mich persönlich in Bezug zu dieser Geschichte? Was ja hier der Fall ist.

Zuerst ist Ihre Übersetzung von „Der Viehwaggon“ erschienen, Hyvernauds zweiter Veröffentlichung. Das Debüt „Haut und Knochen“ erst danach.

Ja, das habe ich etwas verdreht dem Verlag angeboten. „Haut und Knochen“ erschien 1949 und „Der Viehwaggon“ dann 1953. Als ich 2005 aus Paris wiedergekommen war, habe natürlich beide gelesen, bin dann aber zu dem Schluss gekommen, mit dem romanhaften „Viehwaggon“ anzufangen, der mir persönlich auch besser gefällt. Der Ton ist ironischer, auch leichter, die Handlung entfaltet sich wie bei einem Roman breiter. „Haut und Knochen“ ist dagegen doch mehr wie ein ganz konzentrierter Essay in fünf Akten.

Hatten Sie Ihre Übersetzung mehreren Verlagen oder nur dem Suhrkamp Verlag angeboten?

Nein, ausschließlich Suhrkamp. Denn ich wusste, dass Hyvernaud in einem Verlag erscheinen muss, der eine Buchreihe hat, die auch außerhalb der üblichen Saisontermine erscheint. Das sind ja keine Saisonbücher, das sind fast schon Klassiker.

Ein Klassiker, obwohl Hyvernauds Literatur viele Jahre nur ein Schattendasein fristete?

Hyvernaud ist in Frankreich auch erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt worden, nachdem er vorher regelrecht vergessen war. Aber dort wird Hyvernaud mittlerweile schon als Klassiker gesehen, gehört zum Lehrstoff an den Universitäten und zählt inzwischen zum Nachkriegskanon.

Eine Würdigung, die Hyvernaud nicht mehr erlebt hat. Er starb 1982 in Paris.

Hyvernaud hatte schon zu Lebzeiten eine regelrechte Verlagsodyssee hinter sich. „Haut und Knochen“ ist 1949 in einem Verlag erschienen, der sich auf erotische Literatur und Krimis spezialisiert hatte. Das war ein Fehlgriff, das muss man schon so sagen. „Haut und Knochen“ hatte er ja schon 1946 fertig, dann lag das Manuskript noch die Jahre in der Schublade bei diesem Verlag. „Der Viehwaggon“ sollte ursprünglich auch dort erscheinen.

Aber Hyvernaud hatte sich mittlerweile gegen diesen Verlag entschieden?

Sein Agent hat Georges Hyvernaud regelrecht ausgelöst. „Der Viehwaggon“ erschien dann bei Denoël, was ja ein guter und angesehener Verlag ist.

Der Erfolg für Georges Hyvernaud blieb aber trotzdem aus.

Ja, in meinem Nachwort zu „Der Viehwaggon“ habe ich versucht zu beschreiben, dass es wohl vor allem daran lag, dass Hyvernaud mit seiner Darstellung, mit seiner Sicht einfach zu früh war.

Seine gnadenlose Sicht auf die Verhältnisse?

Genau, diese Radikalität. Und man muss sich immer auch bewusst machen, dass diese Form der Aufarbeitung dieses Kapitels aus dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich erst in den vergangenen zehn, maximal 20 Jahren wirklich stattgefunden hat. Dass auch von offizieller Seite zugegeben wurde, dass es eine Kollaboration mit Nazideutschland gegeben hat. Bis dahin waren ja in Frankreich eigentlich alle in der Résistance.

Diese Einstellung hinterfragt Hyvernaud in „Der Viehwaggon“ auf äußerst bissige Weise.

Und das Hyvernaud das damals schon so schonungslos dargestellt hat, ist einfach erstaunlich.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Von Georges Hyvernaud sind in der Übersetzung von Julia Schoch „Haut und Knochen“ und „Der Viehwaggon“ in der Reihe Bibliothek Suhrkamp erschienen. „Haut und Knochen“ kostet 12,90 Euro, „Der Viehwaggon“ 13,90 Euro

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