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Kultur: Gefühlsnüchtern bis innig

„Vocalisen“-Hommage an Adele Stolte

Den Bachstil der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts habe sie entscheidend mitgeprägt, war die Oratoriensängerin Adele Stolte coram publico würdig bedankt, die Potsdam stets als ihr künstlerisches und persönliches Zuhause betrachtet hat, sich und ihrer Kunst stets treu blieb. Nachträglich zu ihrem 75. Geburtstag gratulierte die „Vocalise“ wortspielerisch mit einem „Vocadele“-Festkonzert (2. Sinfoniekonzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam) in der vollen Erlöserkirche. Selbstverständlich, dass dabei nur Werke von Komponisten erklangen, die das Repertoire der weithin bekannten Sopranistin bestimmt hatten. Wenn die Wiedergaben die Leuchtkraft und Innigkeit, das Strahlen, die schlichte Ausdrucksintensität von Stoltes Stimme zu reflektieren verstünden, wäre des hörenden Vergnügens kein Ende.

Zwei bekannte Streicher-Doppelkonzerte bildeten den Rahmen dafür. Mozarts Sinfonia concertante Es-Dur KV 364 spielten die eng beieinander stehenden Guy Braunstein (Violine/Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker) und Amihai Grosz (Viola) in totaler gedanklicher Übereinstimmung und körperlicher, einander zuwendender Intensität. Beide bevorzugten einen schlanken Ton voller kristallklarer Schönheit. Ganz leicht handhabten sie ihre Bögen, wie einst die Stolte ihre Stimmbänder. Das Orchester unter Leitung von Ud Joffe befleißigte sich eines transparenten Spiels, das sich die Opulenz versagte. In den Ecksätzen erlebte man einen etwas gefühlsnüchternen Mozart, während die längeren solistischen Zwiegespräche dem Andante viel Innigkeit verliehen. Zum stilkundigen, werkerfahrenen Guy Braunstein gesellte sich beim Bachschen d-Moll-Doppelkonzert BWV 1043 der 22-jährige Geiger Michael Barenboim. Beide waren voneinander weit entfernt postiert und spielten, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Der leuchtende, schlackenlose Ton der philharmonischen Geige bestimmte das Geschehen, während vom Partner an eigenständigen Beiträgen fast nichts zu vernehmen war. In Ecksätzen ging es zügig und ausdruckslebendig zu, im Largo schlicht. Kurzum: Klarheit auf der ganzen Linie.

Bei den vokalen Beiträgen gab es leider einige personelle Veränderungen. So musste Sopranistin Bozena Harasimowicz (Fingerzeig für Stoltes einstige erfolgreiche Meisterkursarbeit in Polen) genauso passen wie Tenor Lothar Odinius und Bassist Andreas Wolf. Tenoreinspringer Daniel Sans erwies sich an der Seite von Netta Or im Duett „Ihr Schönen aus der Stadt“ aus Haydns „Jahreszeiten“ als leichtstimmiger, geschmeidiger Oratoriensänger. Was sich von seiner zu lauten, ohne Liebreiz singenden Partnerin nicht behaupten lässt.

In der „Stolte-Kantate“, einem von Ud Joffe erstellten Mix aus Bachschen Kantatenschnipseln, erwies sie sich als kraftvolle, einer Donna Anna würdigen Sängerin. Stimmfachkollegin Gertrud Günther trug die koloraturengespickte, trompetenumstrahlte Bravourarie „Jauchzet Gott in allen Landen“ sehr mühevoll und glanzlos vor. Bassersatz Raimund Nolte sang schwerfällig das „Fahr hin, abgöttische Zunft!“. Fürs Terzettfinale war aus originalem „Kaffeekantaten“-Text „Die Katze lässt das Mausen nicht“ ein „Die Stolte lässt das Singen nicht“ geworden. Was erstens unrichtig ist, zweitens nicht witzig, weil textunverständlich. Und so wurde aus geplanter Hommage ungewollt eine wehmütige Erinnerung an unwiederholbare Sangeskünste aus vergangenen Zeiten. Peter Buske

Peter Buske

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