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Kultur: Hamlet: Wahnsinn Very British

Wandertheater Ton und Kirschen in Werder

Die eigentliche Tragödie spielt in der Welt, die jede Theaterbühne umbrandet. Wer wollte das leugnen? Die alte Saftfabrik auf der Insel in Werder, die sich die international besetzte Theatertruppe vom Ton und Kirschen Theater aus Glindow für ihre Überwinterungszeit ausgesucht hat, macht dies sehr schön deutlich. Hamlet soll es im 15. Jahr des Bestehens sein. Shakespeares psychologischstes Drama. Jede Inszenierung hat die Wahl zwischen historisch akkuratem Spiel, das sich nah am Text hält, und dem Versuch, möglichst viel Gegenwartsbezug hineinzuholen. Ton und Kirschen haben sich zum Glück für die Tradition der Elisabethanischen Zeit und ihrer Schauspielgruppen entschieden. Die Welt, wie sie ist, bleibt erst einmal draußen.

Dort, wo der Weg hinein in die provisorisch zur Bühnenwelt umgebauten Halle im Halbdunkel liegt. Ein Heizpilz ersetzt das Feuer, das zu Anfang des 17. Jahrhunderts, als Hamlet zum ersten Mal gespielt wurde, die Gaukler und Mimen wärmte. Eine moderne Latrine namens Dixi steht im Hof. Ein Kind brüllt, ein anderes ist einer Theatermutter, die hinter dem behelfsmäßigen Büffet bedient, auf den Rücken gebunden. Durch die Decke tröpfelt es auf die bürgerlichen Stände Potsdam- Mittelmarks, die auf den Beginn des Spektakels warten. So wie die Dame, die sich gekleidet hat wie für das Pferderennen in Ascot in Pepita-Jackett, hohen Hacken und Strohhut, scheint man den Ausflug in die fremde Welt des Wandertheaters, in der alles möglich ist, zu genießen.

Hamlet ist ein großes Stück. Aber auch ein sehr robustes. Von den Umzügen und Freilicht-Aufführungen erwartet man von Ton und Kirschen wenigstens ein wenig Masken- und Feuertheater. Doch die Regisseure, die in Personalunion Hauptdarsteller und auch die Gründer der Gruppe sind, Margarete Biereye (royal: ihre Gertrud) und David Johnston (komisch: sein Polonius), gehen äußerst zurückhaltend mit Bildern um.

Die Sprache, altehrwürdig im Klang der deutschen Übersetzung aus der Romantik, und das Spiel alleine sind genug. Die innovativsten Akzente setzen dabei – bewusst oder unbewusst – die unterschiedlichen Muttersprachen der Akteure. Schon der Geist des toten Königs spricht mit dem ulkigen britischen Akzent, den David Garlick auch seinem Claudius mit gibt. Ebenso hört man bei David Johnstons Figuren deutlich den sympathischen Zungenschlag der Insel durch. Laertes (Nelson Leon), der erst den Vater verliert und später auch die Schwester, spricht mit südamerikanischem Tonfall, was gut zum Heißsporn und Racheengel passt, den er verkörpert. Hat man sich an diese tonale Verfremdung ein wenig gewöhnt, schafft sie eine schöne theatralische Distanz zwischen Figur und Stück. Den Titel gebenden schwermütigen Prinzen spielt Richard Henschel. Er ragt aus aus dem insgesamt sehr soliden Ensemble in seiner gekonnten Differenziertheit heraus. Er wechselt von Übermut und Kindlichkeit behend in Wahnsinn und Depression, und ist dabei ganz treuer Diener der von ihm gesprochenen, großen Worte vom Sein und Nichtsein. Die liebreizende Ophelia findet ein Ebenbild in Julia Brömsel, die gerade in den Szenen ihres Wahnsinns so zerbrechlich wirkt, als ob durch sie das Licht durchscheinen kann wie durch ein Glasgefäß.

Natürlich wird die Derbheit, die der verehrte Autor seinen Stücken stets mitgab, gern aufgenommen. Die berühmte Totengräberszene, die für jene kurze Erleichterung zuständig ist, die das Publikum braucht, um die Konflikte um Liebe, Verlust und Enttäuschung zu verdauen, muss so schauspielerischer Höhepunkt werden. Garlick und Johnston sprechen und singen hier endlich Englisch, ihr Humor hat Monty Python Format. Man wünscht sich fast, sie würden die Tragödie einfach sausen lassen und einfach in „Die lustigen Weiber von Windsor“ übergehen. Das tun sie nicht, alle liegen zum Ende tragisch und tot auf den Brettern. Nur das Publikum nicht. Es kann noch beherzt applaudieren.

Matthias Hassenpflug

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