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Kultur: „Ich sage nur China“

PEN-Präsident Johano Strasser beschimpft im „Walhalla“ die Eliten

Die Beschimpfung mag privat eine wirkungsvolle Form der Läuterung sein, bevor es zur Tätlichkeit kommt. Immer kommt es jedoch zu Verletzungen. In der Öffentlichkeit konnte sich die Verbalinjurie deswegen auch nicht recht durchsetzen. „Wir wollen Sie beschimpfen!“ hieß es dennoch fast liebevoll auf der Einladung der SPD nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, die am Donnerstagabend das Walhalla gebucht hatte.

Johano Strasser, in den wilden 70ern Juso-Vorsitzender, später Professor für Politik am Berliner Otto-Suhr-Institut und seit 1983 freier Schriftsteller, zudem amtierender Präsident des deutschen PEN-Zentrums, steht am Rednerpult, in der Hand sein Manuskript, fertig zur Verbalattacke. Viele sind gekommen, die Beleidigungen zu empfangen. Wenigstens kostet es keinen Eintritt, sich auf diese Art den Kopf waschen zu lassen. Ein wenig mulmig ist jedem, denn Strasser ist von einschüchterndem hohen Wuchs, seine Augen funkeln angriffslustig und seine grausilberne Löwenmähne zeugen von einer natürlichen Wildheit.

Aber Strasser, so wird bald deutlich, ist zu sehr Menschenfreund, zu sehr Idealist, um sich wirkliche Feinde zu machen. Er will aufklären und aufrütteln und wirkt mit seiner Lesebrille, über die hinweg er sich sein Publikum zur Brust nimmt, eher altprofessoral.

Zunächst geht es gegen die Eliten. Woran erkennen die Auserwählten, dass sie auserwählt sind? Der Verdienst und nicht das Verdienst wären Zeichen für die heutige Elite, zu der sich nun sogar ein „politisierender Kindskopf“ wie Guido Westerwelle zählen dürfte. Denn „zur Elite gehört, wer zur Prominenz gehört“ und die treffe sich bei Christiansen, Kerner oder Beckmann. „Deutschland im Biedermeier. Wir haben nur die Butzenscheiben gegen die Mattscheibe ausgetauscht.“ Aber, schlussfolgert Strasser, was sich da allabendlich als Elite zeigt, wären ja nur „Wichtigtuer“, eine „Möchtegernelite“. Uns Zuhause, „mit dem Rotweinglas in der Hand“, wäre das ja eigentlich klar. Wir wären ja die „Elite der Elitenbeschimpfer“. Nur zu feinnervig, selbst in die Niederungen der Politik hinunter zu steigen. Wegen unserer typisch deutschen Verachtung für die Straße und die Öffentlichkeit. Das Schlimme an der Demokratie, sagt Strasser, wäre doch, dass die Stimme des Banausen genauso viel zähle, wie die unsere.

Er spreche von den selbst ernannten Experten, die „fischblütigen Abschnittsbevollmächtigten des Wissenschaftsbetriebs“, den und den sensiblen Ästheten, die auf die Banalitäten der Politik mit Schaudern schauen. „Ich spreche von Ihnen im Saal.“

Tragen wir keine Verantwortung? Geschieht „da oben“ wirklich etwas ohne unser Zutun? „Wir waschen unsere Hände in Unschuld.“ Und dann kommt, worauf man den Abend lang gewartet hat: Nach „Ihr Spätgeborenen, ihre Auf- und Abgeklärten“, bezeichnet Strasser den Saal mit einem jener A-Worte, die nie in einer Zeitung stehen sollten. Strasser, der Ironiker, entschuldigt sich aber sofort und verdreht alles ins Gegenteil. „Ich bin gar nicht der, der ich zu sein scheine.“

Jetzt nimmt er die Eliten sogar in Schutz. Niemand helfe beim Tragen der Geldkoffer. „Das Drama der Eliten ist ja, dass sie alles selbst machen müssen.“ Strasser plädiert nun für Eliteschulen, Elitehorte und Elitekinder und fordert einen „eisernen Besen“ gegen Mittelmäßigkeit. „Ich sage nur China.“ Demokratie wäre doch nur ein Standortnachteil in der Globalisierung. „Mut zur Auslese, Mut zur Selektion“, fordert Strasser. Das müsse „Ihnen da unten“, der „Elite der Elitebeschimpfer“ doch einleuchten. „Wer soll es denn richten, wenn Sie es nicht tun?“

Strasser will durch Aristotelische Katharsis heilsame Verwirrung stiften. Aufrütteln, um wieder mehr Demokratie zu wagen. Nachdem er konstatiert, dass wohl keinem im Raum ein Licht aufgegangen sei, stiehlt er sich als Redner am Ende komplett aus der Verantwortung. Ein Mensch sei er, der, wie alle, nur „Anerkennung und Liebe“ zum Ziel habe. Das Thema sei wohl zu komplex, da habe er den Faden verloren. Johano Strasser scheint ein gütiger Unverbesserlicher zu sein, der mit Worten läutern will. Alles für den guten Zweck, dass man sich wieder in die Politik einmische. Natürlich weiß er, wie vergeblich sein Vorhaben ist. Aber in so einer Sache kann man nun wirklich nicht handgreiflich werden.

Matthias Hassenpflug

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