zum Hauptinhalt

Kultur: Lakonisch, beklemmend, eindringlich

Saisonstart des Neuen Kammerorchesters Potsdam in der Erlöserkirche

Ungewöhnliche Werke in epochenübergreifenden Konstellationen, intelligente und thematisch geprägte Zuordnungen: von Beginn an suchten die weitgehend in der Erlöserkirche stattfindenden Sinfoniekonzerte des Neuen Kammerorchesters Potsdam unter Leitung von Ud Joffe das Besondere. Jede Saison erhielt dabei ihr prägendes Motto. Die diesjährige bildet darin keine Ausnahme und folgt dem ewig gültigen Leitgedanken „Aber die Liebe“. Der Auftakt wartete mit Kompositionen auf, die Liebeserfahrungen auf höchst unterschiedliche Weise reflektieren.

Die liebevolle Beziehung zu Rhythmen ließ den Norditaliener Federico Cumar (geb. 1979) ein Divertimento für Pauken und Streicher verfertigen, mit dem er den von „Musik an der Erlöserkirche“ ausgeschriebenen Kompositionswettbewerb 2008 gewann. „Bricks“ (Ziegelsteine) nennt sich die Novität, deren Forte-Beginn einem Pingpong-Spiel zwischen Tutti und Soloinstrument gleicht. Virtuos schlegelt Jens Hilse seinen anspruchsvollen Part, der immer wieder leise verklingt, um erneut in neuen motorischen Attacken gleich Höhenflügen abzuheben. Besinnliche Streicherpassagen sind sozusagen der Kitt, mit dem sich die Ziegelsteine zu einem reizvollen Klangbau zusammenfügen. Aus diesem ständigen dynamischen Wechselspiel entsteht Drive. Was sich da in barocker Concerto-grosso-Manier vorzeigt, ist kontrastreich, kurzweilig, ohrenfreundlich.

Das auffallend jungeund aufgeschlossene Publikum zeigt sich auch von den weiteren Beiträgen begeistert. Es feiert die von romantischem Schwulst total befreite Wiedergabe der Mahlerschen „Lieder eines fahrenden Gesellen“ in der Bearbeitung für kleines Ensemble von Arnold Schönberg. Was die Schönbergsche „Reinigung“ dieser Liebesverzweiflungsgesänge vorgibt, vertieft sich durch die intensive Gestaltung durch Bariton Roman Trekel erheblich. Sein schlank geführter hoher Bariton findet bereits in „Wenn mein Schatz Hochzeit macht“ zu einem beklemmend trostlosen, von Bitterkeit erfüllten Tonfall. Gefälligkeit kommt nirgends auf, auch nicht im zehnköpfigen Begleitensemble mit Streichsextett, Klavier, Flöte, Klarinette und Orgelpositiv. Vibrato-, aber nicht leidenschaftslos geht es zu. Diese Vertreibung aus opulentem (Klang-)Paradies kennt vokal und instrumental keine einlullende Geschmeidigkeit. Nur trostlose Verzweiflung, Schmerzzerrissenheit. Entschlackt, dennoch sehr klangsinnlich breitet sich abschließend Schönbergs „Verklärte Nacht“ in der Streicherfassung aus. Es scheint, als hätten Dirigent und Musiker beim Musizieren den Text von Richard Dehmels gleichnamigen Gedicht stets im Hinterkopf: Liebe, die sich durchs Verzeihen rettet. Drängend fallen die rahmenden Umweltbeschreibungen aus, dramatisch die Beichte der Frau, deren selbstanklägerischer Gestus in all seinen Schattierungen vortrefflich getroffen wird. Besänftigend des Mannes vergebungsvollen Worte. Fast lässt sich Strophe für Strophe virtuell nachvollziehen. Das cellogesättigte Bekenntnis fürs Füreinander mündet in den hemmungslosen Liebesrausch.

Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false