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Kultur: Lobpreiserin des Leisen

Orgelabend mit Marie-Claire Alain an der Woehl-Orgel der Friedenskirche Sanssouci

Orgelabend mit Marie-Claire Alain an der Woehl-Orgel der Friedenskirche Sanssouci Ihr eilt der Ruf voraus, eine lebende Legende zu sein. Was ist dran an der Aura, die die 78-jährige Organistin Marie-Claire Alain umgibt? Mit einem Programm französischer Meister vom Barock bis zur Moderne absolviert sie ihren mit Spannung erwarteten Musikfestspiele-Auftritt in der Friedenskirche. (Den Auftrittsapplaus nimmt sie mit der Grandezza einer Grand Dame entgegen.) Dabei kommt die Woehl-Orgel ihren Klangvorstellungen sehr entgegen – besonders das so genannte französische (III.) Manual mit seinem Schwellwerk und seinen leuchtenden Zungenstimmen, die ein wenig an Glanz und Pracht von Cavaille-Coll-Orgeln erinnern, an denen die Alain groß geworden ist. So bewältigt sie quasi eine Art Heimspiel in gleichsam kammermusikalischer Variante. Denn was die Organistin nicht sonderlich mag, ist das Vorführen brachialen Auftrumpfens, wozu einige Stücke zweifelsohne neigen. Stattdessen hat sie zuvor die dispositionellen Möglichkeiten des Instruments ausgiebig sondiert. Nun führt sie ihre Erkundigungen souverän vor, prunkt vor allem mit den Potentialen raffinierter Farbmischungen. Das Festspiele-Motto um Frauen und Musik erfüllt sich bereits zu Beginn des Konzerts, als Madame Alain die Suite Nr. 3 (1687) von Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre (1665-1729) spielt. Sie betont den intimen Charakter der mehrsätzigen Piece, stellt nicht sich, sondern die Musik in den Vordergrund ihrer tastatierenden Bemühungen. Spielerisch leicht und lebendig horcht sie in das Werk hinein. Lieblich klingt die Allemande, ganz intim die Courante; der Sarabande verleiht sie fast orchestrale Wirkung, die Gigue hüllt sie in schnarrende Klänge der Trompette harmonique. Als souveräne Gestalterin und Meisterin im Malen mit gebrochenen Farben erweist sich die Alain in der romantisch gefärbten A-Dur-Fantaisie von Cesar Franck, deren Kontrast zwischen 16-füßigem Quintaton und Diskantregistern sie im Schwellwerk groß ausstellt. Wie das bibbert und blubbert! Allmählich steigert sich das Werk in Glanz und Pracht der Principale. Dieser Lehrstunde in Sachen Registration a la francaise folgt der Ausflug in die zwielichtige Farbenwelt des „Virgo Mater“ von Marcel Dupre (1886-1971), Lehrer von Marie-Claire Alain. Zartgetönt, verinnerlicht erklingt es in großer Ruhe. Als Lobpreiserin des Leisen erweist sich die Organistin auch in Prelude et Fugue g-Moll der Französin Elsa Barraine (1910-1999). Ihrer spielerischen Einkehr, ihrer magisch-meditativen Versenkung kann man sich kaum entziehen. Doch Madame kann auch anders, wie die eruptive bis verinnerlichte Wiedergabe von Werken ihres Bruders Jehan Alain (1911-1940) nicht weniger eindrucksvoll belegen. Schrill, zerklüftet, mitunter rabiat zeigt sich dessen Erste Fantasie; nicht weniger dissonant, nur getragener im Ausdruck die Zweite. Die „Aria“ besticht durch leisen, dann leidenschaftlichen Gesang, der in ätherische Regionen aufsteigt. Zupackend, aber ohne jegliche Hektik betont sie in „Trois Danses“ den Lebenskampf zwischen jazzig synkopierter Freude und gravitätisch einherschreitender Trauer. Faszinierend. Den Ovationen dankt die lebende Legende mit einer Zugabe.

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