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Ihn interessieren die inneren Vorgänge. Martin Schüler inszeniert zum zweiten Mal „Orpheus und Eurydike“, doch jetzt viel reduzierter.

© Andreas Klaer

ZUR PERSON: „Manches erweist sich erst beim Essen“

„Unser Mitmachen ist ein Exotikum. Es wirft die Planung ganz schön übern Haufen.“ Intendant Martin Schüler über seine Regie bei der Potsdamer Winteroper „Orpheus und Eurydike“ und seine besondere Lesart Je sicherer man im Umgang mit dem Material ist, je mehr kann man reduzieren.“

Herr Schüler, warum wurde Cottbus eigentlich erst jetzt mit ins Boot der Potsdamer „Winteroper“ geholt? Schließlich verfügt Ihr Staatstheater im Gegensatz zu Potsdam noch über eine eigene Musiktheatersparte.

Mein Wunsch war es schon lange, dass wir mal hier im Schlosstheater gastieren. Noch als Stephan Märki Intendant am Hans Otto Theater war, schlug ich vor, einen Monteverdi-Zyklus im Schloss zu machen. Daraus wurde aber nichts und seitdem gab es auch keine Gespräche mehr.

Und jetzt freuen Sie sich, dass Sie endlich als Regisseur und mit Ihrem Chor bei „Orpheus und Eurydike“ mitwirken?

Ich freue mich schon, obwohl das für uns nicht so einfach ist. Es wirft die Planung ganz schön über den Haufen, wenn der Opernchor gerade jetzt, in unserem Hauptstoßgeschäft, 14 Tage nicht da ist. Unser Kulturauftrag ist ja, vor allem in Cottbus Theater zu machen. Insofern ist das Mitmachen bei der Winteroper ein Exotikum, und wir probieren es im Rahmen der allgemeinen Vernetzung erst mal aus. Das Hauptargument, dass wir eingeladen wurden, war natürlich der Opernchor, den Potsdam nicht hat.

Was haben Sie denn für Einbußen, wenn der Chor „fremdgeht“?

Nicht direkt Einbußen, aber es muss umdisponiert werden. Das Schauspiel muss verstärkt ran und auch das Orchester, um den Spielplan zu füllen.

Soll es wirklich ein Exotikum bleiben und keine Fortsetzung der Zusammenarbeit geben?

Da ist nichts abgesprochen. Wir probieren es jetzt, wie gesagt, erst mal aus. Das ist projektgebunden.

Warum sagten Sie trotz aller Bauchschmerzen zu?

Das Ministerium wünschte sich diese Vernetzung. Da kann man nicht einfach Nein sagen.

Das kennen Sie ja als Intendant sicher von sich selbst.

Na sicher. Da gebe ich auch klare Anweisungen. Nur so funktioniert Theater. Und „Orpheus und Eurydike“ ist nun mal eine Choroper. Die muss von einem professionellen Chor gesungen werden. In Potsdam gibt es leider keinen professionellen Chor. Auch fand ich gut, dass man mich als Regisseur dieser Oper wollte. Da fühlte ich mich durchaus geehrt.

Ist das Ihre erste Arbeit im Schlosstheater?

Nein. Meine erste Arbeit beim Theater überhaupt begann im Schlosstheater Potsdam. Das war 1980 und ich war ein kleiner Regiestudent an der Musikhochschule „Hanns Eisler“. Bei unserer Hochschulproduktion half ich, wo gerade Not am Mann war. Mal war ich Chortenor, dann, als der Cembalist nicht da war, spielte ich das Cembalo, und am Ende half ich auch als Bühnentechniker mit. Das war damals so. Man war flexibel. Flexibilität ist ja nicht erst nach der Wende erfunden worden.

Haben Sie mitentschieden, welcher Titel in diesem Jahr bei der „Winteroper“ gespielt wird?

Nein, das war Frauke Roth, die Geschäftsführerin der Potsdamer Kammerakademie. Sie hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, den Orpheus zu inszenieren. Ich habe ihn ja schon mal 1996 in Cottbus auf die Bühne gebracht. Damals aber in der französischen, in der großen Fassung. Und jetzt machen wir die italienische, die Kurzfassung. Das ist die Urfassung von Gluck. Acht Jahre später hat er für die Pariser Oper fast das komplette Stück neu geschrieben und wesentlich erweitert. Aber nach wie vor hatte es die drei Hauptpersonen Orpheus, Eurydike und den Liebesgott Amor sowie als die vierte handelnde Person den Chor, der die Hirten, Furien und Seligen Geister gibt. Das ist ja das Besondere der Reformoper. Sie war nicht mehr wie bei der höfischen Oper das Auftragswerk des Monarchen, das immer nach gleichem Muster gestrickt wurde und je nach Anlass ein bestimmtes mythologisches Thema behandelte. Gluck hat sich davon völlig entfernt und ein Drama um seiner selbst willen geschrieben.

Was hat sich da verändert?

Bei ihm gab es nicht mehr die üblichen sechs bis zehn sich gegenseitig intrigierenden Figuren, sondern es wurde kräftig entschlackt und auf den Kern reduziert. Wagner, Berlioz, Weber – alle haben sich später auf Gluck bezogen. Wagners „Ring der Nibelungen“ wäre ohne die Glucksche Opernreform gar nicht so möglich gewesen. Das Neue war auch das Durchkomponieren, nicht mehr das Einteilen in Arie, Rezitative, wieder Arie, sondern eine duchgängige Musik für Orchester. Und das Ganze bei „Orpheus und Eurydike“ auf löbliche anderthalb Stunden.

Ist es bei Ihnen jetzt ein völlig neues Herangehen an diese Oper?

Ja. Zum einen, weil es so lange her ist. Zum anderen versuche ich jetzt die Glucksche Opernreform wirklich ernst zu nehmen, dieses Reduzieren auf drei Figuren. Das habe ich damals nicht gemacht. Man bringt bei Gluck meistens eine Menge Statisterie mit rein, um die Handlung irgendwie erklären zu wollen. In Cottbus war bei mir die Unterwelt ein U-Bahnhof, wo die Asozialen lebten. Das Elysium gestaltete ich als Altersheim, wo nur noch Mumien sind, die ewig ihre Wunden lecken. Das war eine andere Zeit, eine andere Gesellschaftssicht. Jetzt geht es mir nicht mehr nur um die äußerliche Handlung. Ich nehme diese Allegorie ernst, wenn Orpheus in die Unterwelt geht, um seine tote Eurydike wiederzufinden. Während des Begräbnisses von Eurydike gerät Orpheus durch den Schmerz und die Trauer so außer sich, dass er anfängt zu träumen, und er fantasiert sich in die Möglichkeit hinein, dass er Eurydike wiederbekommt. Das Gehirn schafft sich Illusionen, in denen ein glückliches Ereignis wiederholt werden soll, was vorbei ist. Das ist das Künstlerische im Menschen. Eine Art Überlebensstrategie. Und dabei entsteht ja als „Abfall“ die wohl berühmteste Arie der Opernliteratur: Im Schmerz des Abschieds, des zweiten Sterbens in der Fantasie, kommt es zur Geburt der Musik. Das in künstlerische Bilder zu übersetzen, ist schon sehr spannend.

Also die Fantasie ernst nehmen und den Zuschauer dabei mitnehmen.

Wir versuchen es. Auch ohne großes Aufgebot. Die historische Bühne lässt keine großen Experimente zu, leider auch keinen Nebel. Das sind die Gegebenheiten. Aber früher haben sie ja auch gutes Theater dort gemacht. Dieses kleine Schloss fordert zum Entschlacken auf. Wir besinnen uns auf die Grundvorgänge, die man sehr poetisch, allegorisch und psycholgisch darbieten kann. Oder besser gesagt: darbieten könnte. Ich sage es vorsichtig, noch ist die Premiere nicht da.

Ihre erste Orpheus-Inszenierung war sehr modern in der Auffassung. Lassen Sie jetzt das Gesellschaftliche ganz außen vor?

Ja. Jetzt interessieren mich die inneren Vorgänge. Diese Oper ist schon ergreifend und keine Schmoranze. Diese Wiederbegegnung mit Eurydike klärt vieles, was davor stattgefunden hat, und das ist nicht alles von Harmonie durchzogen. Die Auseinandersetzung in der Wiederbegegnung ist schon ziemlich vehement.

Also war die Beziehung vor dem Tod nicht nur auf Rosen gebettet?

Nein, wer wachen Auges und wachen Geistes ist, merkt schon, das da prinzipielle Sachen verhandelt werden, die auch außerhalb des Traumes nicht mehr reparabel sind. Sonst wäre das Ganze ja auch nicht tragisch. Der Gag besteht darin, dass Gluck ein gewaltsames Happy End durch die Figur des Amore herbeizwingt. Eigentlich ist der Schluss tragisch. Eurydike entschwindet nach der Wiederbegegnung für immer und Orpheus will sich umbringen. Aber dann kommt Amor und verkündet, dass alles gut wird. Man forderte auch damals schon, so wie heute von Filmen aus Hollywood, dass alles ein glückliches Ende zu finden hat. Gluck wollte das gar nicht unbedingt.

Und welches Ende finden Sie?

Wir haben einen Trick gefunden, damit umzugehen. Mehr verrate ich aber noch nicht. Nur so viel: Amor ist bei uns der Alter Ego von Orpheus; das Über-Ich. Man muss heute nicht mehr so deutlich sein. Kunst ist ja auch Rätsel.

Sie haben sich als Regisseur also genug ausgetobt?

Wenn man sein Handwerk noch nicht so beherrscht und trotzdem glänzen will, stellt man aus Unsicherheit alles auf den Kopf. Am Ende braucht man, wie Picasso, nur noch drei Striche. Je sicherer man im Umgang mit dem Material ist, umso mehr kann man reduzieren. Man braucht aber sehr lange, um zu verstehen, warum ein Komponist unaustauschbar gerade so komponiert hat, wie er es eben tat. Anfangs ist man als Regisseur noch blind für die Symbolik.

Ist es Ihre erste Zusammenarbeit mit der Kammerakademie Potsdam?

Ja, und es macht mir viel Spaß, mit dem musikalischen Leiter Antonello Manacorda zusammenzuarbeiten. Ich komme ja auch aus der Musik, insofern sprechen wir die gleiche Sprache. Und ich bin Handwerker. Musik ist für mich das Wichtigste in der Verständigung.

Sollte Ihre Inszenierung ein Erfolg werden, gehen Sie trotzdem davon aus, dass Ihr Mitwirken an der Winteroper eine einmalige Geschichte ist. Schließlich wird die Winteroper ja auch während der vierjährigen Renovierung des Schlosstheaters fortgesetzt, dann in der Friedenskirche Sanssouci ?

Für mich ist immer wichtig, dass man Dinge ausprobiert. Es erweist sich so manches erst beim Essen. Man muss gucken, wie man zusammenkommt und welchen Effekt das hat. An sich kann man das schon immer mal wieder machen.

Das Gespräch führte Heidi Jäger

Am morgigen Freitag, dem 16. November, sind von 12 bis 13 Uhr Auszüge der Winteroper während der „Musik zur Mittagszeit“ im Großen Militärwaisenhaus, Lindenstraße 34 a, zu hören. Es spielt die Kammerakademie Potsdam, Solistinnen sind Maria Gortsevskaya und Isa Katharina Gericke. Premiere ist Freitag, 23. November, um 19 Uhr im Schlosstheater

Martin Schüler, geboren 1958 in Finsterwalde, studierte Opernregie an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler" in Berlin. Eine enge Zusammenarbeit mit Ruth Berghaus begann 1984, als er Meisterschüler der Akademie der Künste der DDR in Berlin wurde.

Seit 1991 ist er Operndirektor am Staatstheater Cottbus. Hier erarbeitete er als Regisseur bisher über 60 Werke. Mit der Spielzeit 2003/04 übernahm er das Amt des Intendanten und den Vorsitz des Vorstandes der Brandenburgischen Kulturstiftung Cottbus, die das Staatstheater Cottbus und das Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus seither unter einem Dach vereint.

Unter seiner Leitung hat sich das Staatstheater Cottbus der Idee verschrieben, Mehrspartenprojekte zur Aufführung zu bringen.

Gastinszenierungen führten ihn nach Graz, Bremen, Saarbrücken. 2001 erhielt er den Förderpreis Musik des Berliner Kunstpreises.

Martin Schüler ist Vater von vier Kindern.

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