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Kultur: Meisterkonzert mit weichem Anschlag

Kammerakademie machte ihrem guten Ruf alle Ehre

Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich ein begeistertes Publikum von einem Orchester eine Zugabe erklatscht. Beim dritten Sinfoniekonzert am Samstagabend im Nikolaisaal war die Begeisterung so groß, dass sich die Kammerakademie Potsdam unter ihrem Chefdirigenten Antonello Manacorda nicht anders zu helfen wusste, als einen Satz aus Strawinskys Ballettsuite „Apollon musagète“ zu wiederholen, um der Ovationen Herr zu werden. Und wieder einmal machte das Orchester seinem hervorragenden Ruf alle Ehre und bewies, dass es über Brandenburgs Grenzen hinaus eine Strahlkraft besitzt, von der andere Orchester nur träumen können.

Die Kammerakademie hat eine Präzisionskultur entwickelt, die man bei großen Orchestern manchmal doch sehr vermisst, und zwar nicht, weil deren Musiker sie nicht erreichen könnten, sondern weil sie nicht mehr ausreichend motiviert dafür sind. Den Potsdamer Musikern hingegen sieht und hört man ihre Spielfreude an. Wo hat man das schon bei tarifvertraglichen Orchestern gesehen, dass ein Tuttist im Takt wippt, wenn er Pause hat? Oder dass der Paukist begeistert das musikalische Geschehen verfolgt, wenn er pausieren muss? Man kann der Stadt nur gratulieren, dass sie über dieses Orchester verfügt. Vielleicht erscheinen dessen Mitglieder gerade deswegen so motiviert, weil sie bloß projektbezogen engagiert werden können – aus finanziellen, aber vielleicht auch aus künstlerischen Gründen. Beispielsweise wechseln die Bläser regelmäßig ihre Positionen zwischen Solisten- und Sekunduspult – undenkbar in einem Tarif-Orchester.

Erstaunlich ist der Farbenreichtum, den das Orchester durch seine enorme klangliche Flexibilität erreicht. Freilich – gerade bei einem höllenschweren Streicherstück wie Strawinskys Ballettposse fehlt die letzte nötige Virtuosität, vielleicht auch Routine. Erklecklich viele Lagenwechsel lassen in den hinteren Pulten manche Unsauberkeit durchgehen, derenthalben die Homogenität leidet. Aber insgesamt ist es ist immer wieder erstaunlich, wie spritzig, wie originell, wie lebendig das Orchester klingt, wie akkurat trotz aller Penibilität ihres Chefdirigenten. Antonello Manacorda nimmt seine Aufgabe immer eine Idee zu ernst, was sich im ganzen Konzert, von Strauss über Beethoven bis Strawinsky, niederschlägt. Er dirigiert mit Ecken und Kanten, stößt vielmals mit zackigem Zeigefinger achtunggebietend in die Luft und erzeugt dadurch eine etwas gehetzte, abgehackte Atmosphäre, anstatt die Leine loszulassen.

In Beethovens fünftem Klavierkonzert mit dem routinierten Solisten Andrea Lucchesini gelingt es dem Dirigenten am ehesten, weit ausholende musikalische Gedanken zu formulieren. Das liegt zu einem Gutteil auch an seinem Landsmann, der den ziemlich nachlässig gestimmten Steinway mit einer Sanftheit behandelt, dass er wie ein Blüthnerflügel klingt. Der Pianist spielt unaufgeregt bis heiter, und am angenehmsten wirkt seine unaffektierte Art, aller Virtuosität jeden Anflug von Kitsch zu versagen und ihr etwas unprätenziös Perlendes zu verleihen mit weichem, fast mütterlichem Anschlag. Als kongenial für diesen Zweck erweist sich einmal mehr die Holzbläserfraktion – an den „akademischen“ Pulten sitzen offenbar Leute, die nicht nur ihr Handwerk verstehen, sondern auch echte Kunst machen wollen. Und das merkt man an ihrem Klang – und ihrer Haltung. Ein meisterliches Konzert. Christian Schmidt

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