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Kultur: Melancholia

Lyrik und Musik mit dem Literatur-Kollegium

Jung noch im Jahre präsentierte das Literatur-Kollegium Brandenburg am Sonntagnachmittag Lyrik und Musik. Ein Glückstreffer sicherlich, dies inmitten der opulenten, wenn auch mensch- und sonnenlosen Ausstellung von Wolfgang Thiel im Alten Rathaus tun zu können, aber siebzig bis achtzig Besucher sprachen da wohl für sich. Kollegiums-Vize Walter Flegel begrüßte die Gäste auf recht melancholische Art. Sogar „die Ausstellung“ mit Bildern aus dem Nachbarland Polen selbst glaubte er vor lauter Sehnsucht seufzen zu hören, sie vermittle ihm ohnehin ein Gefühl, als würde er „nach Hause fahren“. Da erwachten wohl die schlesischen Kinderjahre wieder.

Das Potsdam Duo Axel Elter und Christian Lau umrahmte den Nachmittag mit Werken von Vivaldi, Satie, Strawinsky, Piazolla und anderen an Gitarre und Flöte, aber der Hauptpart galt natürlich dem geschriebenen Wort.

Kollegiums-Mitglieder lasen eigene Gedichte, teils auf die Ausstellung abgestimmt, teils auf sich selbst. Christa Müller machte den Anfang. Sie erzählte von zwei Mappen daheim, eine „Vor dem Untergang“ betitelt, die andere danach. Als „Traumzeit“ passe ihre Lesung aus beiden recht gut in diesen Rahmen, fand sie, und präsentierte etliche Texte, bei denen man das Gefühl nicht loswurde, als wäre sie noch heute persönlich beleidigt, weil diese DDR einst zusammenbrach: Zuerst „Mein herrliches Land, wie sind wir entzweit“, dann „unter ging ein Land“. Grundton: bitter, und zuviel davon macht Ohren matt. Birgit Peuker nahm das Ihre weniger schwer, sie versuchte sich mit ihren Texten in diesem Leben zurechtzufinden und einzurichten. Sie schwankt noch ein bisschen zwischen Erfahrungsbericht und poetischer Metapher, aber mit Straßen und Wind, mit Blüten und Hochspannungsmasten weiß sie nicht übel umzugehen, von Großmüttern ganz zu schweigen.

Wieder etwas Musik, dann kam Erhard Scherner zu Wort. Er übersetzte und rezitierte chinesische Gedichte aus längst verflossenen Zeiten, tolle Sachen, auch von Du Fu und Lao Wai. Viele hatten malerische Themen, aber auch dies ist lyrisch unerreicht: „Wie ist es möglich, gemeinsam leben, gemeinsam sterben – Mensch und Pferd?“ Wo alle Bäume zu Kohle versteint und Häuserzeilen leer stehen, da war Sonja Schüler zu Hause. Kalte Drachenwege, ein Kreidezeichner, minoisches Rot, Berliner Licht oder die 4. Dimension beschreiben ihr heutiges Dasein – weniges davon erschloss sich beim Einmalhören im Raum. Zuletzt Elke Hübener-Lipkau. In ihren Gedichten pulsen Leben und Liebe, Kampf und Sehnsucht, Geständnis und Beständigkeit in einer sofort glaubhaften Form: „Nur jeder zweite Atemzug gilt dir/kam es mir heute in den Sinn. Verzeih, es könnte wenig scheinen./Die andere brauche ich dafür/dass Haut und Haar und Herz und Hirn/dir überhaupt erhalten bleiben“. Kratzbürste!

So unterschiedlich suchten Lyrik und Malerei, Musik und Worte in Wolfgang Thiels Bilderräumen Eintracht zu finden. Die Gefühls-Palette reichte von quälerischer Nostalgie der Daseinssuche bis zur bissigen Leichtigkeit, mit der Elke Hübener-Lipkau ihr Lebensgefühl eintrieb. Was bleibt denn von uns übrig? fragt sie in „Lakonische Vorstellung“ – ein saftiges Grün, an dem sich erfreuen, die nach uns kommen werden... Das reicht doch vorerst. Gerold Paul

Gerold PaulD

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