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„Das Fest“. Der Potsdamer Künstler Van Icon stellt lässt nackte Damen vor Schloss Sanssouci „Blauen Würger“ trinken.

© Andreas Klaer

Nackte Damen und Beutel mit Hundekot: Wie der Potsdamer Künstler Van Icon Alltägliches zur Kunst kürt

Mit „Decade gone“ thematisiert Van Icon im Rechenzentrum ein verschwundenes Jahrzehnt. Der Stagnation will er entgegenwirken.

Von Alicia Rust

Drei kleine Bronzen begrüßen den Besucher, platziert auf einem Podest. Sie muten an wie goldene Taschentücher, kunstvoll verknotet. „Die Vorlage dafür waren Beutel mit Hundekot, die man jeden Tag auf der Straße findet“, sagt Künstler Van Icon und lächelt angesichts der romantisierten Illusion, die durch die Miniatur-Skulpturen mit dem Titel „Dog bag“ bei der Betrachtung erzeugt wird.

Nach den letzten Ausstellungen im Stil der Shock Art und des radikalen Realismus ist „Decade Gone“ im Rechenzentrum nun eher dem interpretativen und narrativen Realismus zugewandt. Die Sequenzen der Bilder wirken wie eine Sammlung von verfremdeten Schnappschüssen. Die Palette reicht von der Grafik über die Malerei bis zur Plastik, von der Landschaft bis zum Porträt. Wobei der Betrachter zwischen Provokation und Witz entscheiden darf.

Inzwischen ist Potsdam ein Ort, den ich als Heimat bezeichnen würde.

Van Icon, Künstler

Unsere Umgebung mit einem anderen Blick zu betrachten, das ist dem Künstler, Jahrgang 1987, ein Anliegen. Gegenstände, denen man im täglichen Umfeld begegnet, zu einem Kunstobjekt zu erheben, selbst, wenn sie noch so banal wirken. Alltägliches zu verewigen, selbst wenn es nicht so schön sein mag. Dabei ist Potsdam Quelle der Inspiration und „inzwischen ein Ort, den ich als meine Heimat bezeichnen würde“, sagt der in Sachsen geborene Van Icon, dessen Pseudonym inzwischen sogar im Pass steht.

Der Potsdamer Künstler Van Icon kürt Alltägliches zur Kunst. Zum Beispiel Beutel mit Hundekot.
Der Potsdamer Künstler Van Icon kürt Alltägliches zur Kunst. Zum Beispiel Beutel mit Hundekot.

© Andreas Klaer

Seit über 17 Jahren lebt er nun hier, zunächst hat er an der inzwischen abgerissenen Fachhochschule studiert, anschließend war er in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen präsent, unter anderem als Mit-Preisträger des Potsdamer K.O.-Wettbewerbs. Neben der Kunst arbeitet er als Produktdesigner. Die Präzision merkt man seinen Werken an. 

Den Moment genießen

Zwei Räume weiter: Ein Gemälde mit einer Gruppe ausgelassener alter Damen, die fröhlich ein Gläschen „Blauer Würger“ genießen. Ein Ölbild, gemalt in feinem Pinselstrich. Titel: „Das Fest“. Was zunächst wie ein Kaffeekränzchen anmutet, wirkt auf den zweiten Blick ziemlich skurril. Denn die beschwingten alten Damen sind allesamt nackt. Hinter ihnen ist ein Ausschnitt der Fassade von Schloss Sanssouci zu erkennen.

Warum werden wir mit einem Teil der Geschichte konfrontiert, der nicht mehr unbedingt in unsere Zeit passt?

Van Icon, Künstler

„Ich fand es wichtig, diese heitere Stimmung zu zeigen, die Unbefangenheit“, sagt Van Icon. Und der Namens jenes Schlosses, welches als Sommersitz der preußischen Könige diente, passe doch perfekt dazu. Vom französischen „ohne Sorge“, zum sorglosen Moment.

Neben dem Bewusstsein für den Moment, gibt es für den Künstler in dem Motiv eine weitere Ebene. „Wir leben in einer Zeit der Optimierung und hetzen oft den falschen Idealen hinterher“, sagt er. Optimierte Gesichter, durch die Filter der sozialen Medien entfremdet, optimierte Körper. Auch „Die Brücke“ zeigt einen solchen: Ein nackter Frauentorso schwebt im Schatten einer Straßenlaterne. Ihr Schein zieht lichthungrige Putten wie Motten vom Licht an. Welch feine Ironie.

Auch in Potsdam gebe es zahlreiche Gebäude, von denen nur der Schein der schönen Fassade wahrgenommen werde, sagt Van Icon. „Ich kritisiere zum Teil auch das Stadtschloss, die damit verbundenen Stereotypen, die Vorgehensweise der Entwicklung der Stadt“, so der Künstler. „Warum werden wir mit einem Teil der Geschichte konfrontiert, der nicht mehr unbedingt in unsere Zeit passt?“ Für ihn gehören Plattenbauten ebenso in das Stadtbild wie verschnörkelte Fassaden, was er in zahlreichen Motiven thematisiert. 

Und wofür steht das „verschwundene Jahrzehnt“ im Ausstellungstitel? „Als junger Mensch frage ich mich: Wo bleiben unsere goldenen Zwanzigerjahre? Das Gefühl von Aufbruch, die Idee, etwas zu bewirken?“, sagt der 36-Jährige. Schon seit einer Dekade herrsche ein Gefühl der Stagnation. Zeit, den Aufbruch in die eigene Hand zu nehmen. Der Ausstellungstitel sei daher auch als Appell zu verstehen.

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