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Kultur: Naiv herausfordernde Weiblichkeit Nelly Bührle-Anwander in Galerie am Neuen Palais

„Ha ja, i wollt halt net, dass die Loid a Buch lese müsse, um mi zu verstehen“, sagt in sympathisch gedehntem österreichisch-schwäbischem Singsang Nelly Bührle-Anwander in der Galerie am Neuen Palais. Und tatsächlich: Ein Buch muss man nicht lesen, um mit den Figuren der in Stuttgart geborenen Nelly Bührle-Anwander etwas anfangen zu können.

„Ha ja, i wollt halt net, dass die Loid a Buch lese müsse, um mi zu verstehen“, sagt in sympathisch gedehntem österreichisch-schwäbischem Singsang Nelly Bührle-Anwander in der Galerie am Neuen Palais. Und tatsächlich: Ein Buch muss man nicht lesen, um mit den Figuren der in Stuttgart geborenen Nelly Bührle-Anwander etwas anfangen zu können. Meist sind es Frauen, die, manche fast lebensgroß und alle glänzend bemalt, dem Näherkommenden keck die besonderen weiblichen Körperteile entgegenstrecken. Ob das bei „Krankenschwester Scharite“ die aufragenden Brustwarzen unter der weißen Uniform sind, die sie wie das Rotkreuzköfferchen, die kreisrunden Ohren und den überbetont roten Mund alles andere als versteckt. Oder bei „Sommerwind“ das kürbisförmige Hinterteil der dunkelhäutigen Dame: Die dargestellten Frauen verfügen allesamt über eine direkt-sinnliche Frechheit, die ihresgleichen sucht.

Manche tragen stolz ein Täschlein, manche führen ein Hündchen mit (Serie „Dämchen mit Hund“), das ihnen anscheinend den nötigen Mut und Trotz zum Herzeigen der aufreizenden Körperteile verleiht. Diese sind meist über dem hautengen Kleid nackt und rotwarzig, alles andere als diskret und dezent. Die Frauen verfügen über wespenartige Taillen und pavianartige Hinterteile sowie gut stehende und füllige Brüste.

Der Reiz der Figuren liegt in der herausfordernden Naivität, in der pseudo-unschuldigen Schuld, in der keck vor sich her getragenen sinnlichen Heraus- und Aufforderung, in der unverschämten Weise, mit der eigenen Körperlichkeit umzugehen. „Weil Frauen so eine große Anziehung auf Männer haben“, sagt Frau Brühle-Anwander aus ihrem feinen Gesicht, das sie unter einem Hut versteckt, „interessiert mi das“. Was? „Je größer der Busen, um so größer die Anziehung“ sagt die sehr schmale Frau, lacht vor sich hin und empfindet die Geschlechterproblematik offensichtlich nur als Anlass zum Amüsement. Um ihrer persönlichen Komik einen Ausdruck zu verleihen, hat sie eine eigene Technik entwickelt: Sie baut die Skulpturen aus Plastik und Tesafilm auf, bevor sie sie mit Öl bemalt, eine Prozedur, die viel Zeit kostet. Für eine lebensgroße Arbeit benötigt sie etwa zwei Wochen. Dafür sind die Preise ebenso human wie der Humor der Künstlerin, der sich auch in Karikaturen und Grafiken entlädt.

Fröhlich, naiv und herausfordernd, so kommen die Figuren von Nelly Bührle-Anwander daher, egal, wie groß sie sind. Manche sind durchaus lebensgroß, aber es gibt auch ganz viele, total dünne, die klein und beengt liegen müssen, wie in einem Grab – im einen Glaskasten farbige, im anderen Glaskasten unbemalte Figuren. Ein seltsam unfröhliches Ensemble inmitten all der herzlichen Heiterkeit der anderen Gestalten. Selten sind sie vollständig bekleidet wie die „Mafiosa“ im schwarz-weiß gestreiften Kleid, das sich hauteng von Kopf bis Fuß um ihre Rundungen schmiegt, wobei sie am Hals noch schnell eine Krawatte verbirgt und auf dem Kopf einen schwarzen Borsalino trägt. Die Kriminalität dieser Figur liegt wohl darin, dass sie mir nichts dir nichts männliche Verhaltensweisen übernimmt, ohne dabei ihre Weiblichkeit zu verlieren. So saugt sie genüsslich an der Zigarre und stemmt beide Arme herausfordernd in die Hüften. „Oh welke Männlichkeit“, scheint sie zu sagen, „warte nur ab, ich komme!“ Einige der Skulpturen erinnern an Kasperle-Theater oder an die im süddeutschen Raum verbreiteten Karnevalsprotagonisten, und da scheint auch der Traditionstopf zu kochen, aus dem die in Bregenz lebende Bührle-Anwander schöpft.

Lore Bardens

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