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Grundfarben auf drei mal drei Quadraten. Die „Spanische Farbenlehre“ von Jo Enzweiler konzentriert sich aufs Wesentliche.

© Ruhnke

Gegenstandslose Kunst in Potsdam: Nicht ganz konkret

Die Galerie Ruhnke zeigt die weder gegenständlichen noch abstrakten Arbeiten von vier Künstlern

Quadratisch. Bunt. Sonst nichts. Die „Spanische Farbenlehre“ von Jo Enzweiler ist eine kleine Meditation über das Viermalvier der Linien und Farben: Neun Quadrate ergeben in jedem Bild seiner Serie ein neues Quadrat – getragen und verändert nur von den drei Grundfarben Blau, Gelb, Rot – und der ersten Mischfarbe Grün. Die ergibt sich aus der Kombination, genauso wie Orange und Violett. All diese Töne, aufgebracht mit einem simplen Kartoffeldruck, finden sich in dieser so schlichten Bilderserie, die Teil der Ausstellung „Konkrete Kunst“ in der Galerie Ruhnke ist. Neben Jo Enzweiler stellen dort Ina Abuschenko-Matjeweja, Ernst Geitlinger und Ben Muthofer aus.

Der Begriff Meditation umschreibt auch ihre Arbeiten – teils auf Papier, teils aus Stahl und Lack – ganz gut. Denn wie bei den spirituellen Konzentrationsübungen will auch die Konkrete Kunst ein wenig die Außenwelt aussparen. Der Begriff wurde 1924 vom niederländischen Maler Theo van Doesburg geprägt – will von keiner materiellen Realität ausgehen. Sie hat kein Vorbild im Sichtbaren. Sie symbolisiert nichts und ist deswegen auch nicht abstrakt, also von etwas Realem abgeleitet. Farbe, sagte van Doesburg, ist die Grundsubstanz der Malerei. „Sie bedeutet nur sich selbst.“

Bei Ina Abuschenko-Matwejewas Arbeit „Cox Orange“ aber funktioniert diese Meditation, dieses Ausschalten aller Assoziationen nicht. Auch sie arbeitet mit Quadraten, vier hat sie hier – natürlich – zum Quadrat formiert an die Wand gehängt. Jedes trägt – natürlich – seine eigene Farbe, auch wenn die Eberswalder Künstlerin ein Faible für das etwas Uneindeutigere hat. Die Grundfarben sucht man bei ihr vergebens. Dafür findet man: Zahnweiß, Blassgelb und ein köstliches Orange – alle Töne also, in denen ein Apfel der Sorte „Cox Orange“ so schimmern kann. Wann löst Kunst schon mal so viel Appetit auf einen schlichten Supermarktapfel aus?

Auch Abuschenko-Matwejewas „Lichtbilder“ sind von eigenartiger Schönheit, schaffen es aber nicht, das Suchen nach Realitätsbezügen abzustellen. Entlang der extremen Querformate, weißer Grund in weißem Passepartout, hat sie schmale Streifen von Papier aufgereiht wie Zaunlatten. Ihr Trick: So schmal die Streifen auch sind, sie hat sie einmal der Länge nach gekniffen wie einen Geldschein. Und weil sie die Streifen zuvor bemalt hat, geben sie dem Bild nun zwei unterschiedliche Perspektiven: hellblau mit einem milchig-weißem Fuß sind sie auf der einen, dunkelblau mit orangefarbenem Fuß auf der anderen Seite. Das erinnert dann mal stark an einen Sonnenaufgang über blauen Hügeln oder an den dunstigen Himmel über einer trüben See – je nachdem, ob man von scharf rechts oder scharf links auf das Bild schaut.

Nur mit Schwarz und Weiß kommt Ben Muthofer aus, auch er aber faltet sein Material. Nur dass es sich bei ihm nicht um Papier handelt, das man mal eben zwischen Daumen und Zeigefinger knickt, sondern um Stahl. Trotzdem erinnern seine Skulpturen „faltung“, „60 grad schwarz-weiß“ oder „dreiecksvariation“ stark an Origami-Arbeiten. Leicht und beweglich wirken sie, machen vergessen, aus welchem Material sie sind. Wie ein Scharnier oder einen zusammengeklappten Meterstab, glaubt man, müsste man sie auseinanderziehen können. Das heißt aber auch: Selbst hier kommt man nicht weg von der Realität, hin zum reinen Versinken in Farbe und Form.

Spannender, weil unabhängiger, anspielungsfreier, sind Muthofers kleinere Arbeiten. Mutig gekippte Dreiecke, verschachtelte Stahlbänder, alles weiß lackiert. Und eben deshalb verblassen sie so in den weiß getünchten Fensternischen der Galerie – trotz der ausgezeichneten Lichtsituation. Ganz anders hätten sie vor einem dunklen Hintergrund gewirkt. So aber sind die Arbeiten eines der „renommiertesten konstruktiv-konkreten Künstlern“, wie es im Ausstellungstext heißt, eindeutig unter Wert verkauft. Als Kriterium der Konkreten Kunst, so steht es im Begleittext, gilt die Eigenständigkeit von Form und Struktur, der Künstler schafft seine eigene, neue Welt. Die aber prallt hier gegen die Realität der Räume, in denen sie steht.

Ähnlich ergeht es den Bildern von Ernst Geitlinger, die zu großen Teilen im Gang zu den im Untergeschoss gelegenen Ausstellungsräumen hängen. Der 1972 gestorbene Künstler prägte die deutsche Kunstszene der Nachkriegszeit, im Nationalsozialismus galten seine Werke als entartet. Zum Gegenstandslosen entwickelte sich seine Kunst allerdings erst nach und nach – und beeinflusste auch seine Studenten an der Münchner Akademie der Bildenden Künste. Unter denen waren übrigens auch Ben Muthofer und Jo Enzweiler.

Letzterer war schon 2008 in der Galerie Ruhnke zu sehen, damals mit einer Einzelausstellung. Ganz selbstverständlich ist das nicht, denn Konkrete Kunst findet man in Potsdam bislang nur sehr selten. Die Galerie Ruhnke arbeitet seit einiger Zeit daran, das zu ändern. Mit ein bisschen mehr Raum für die passende Ausstellungspraxis kann das gut funktionieren.

„Konkrete Kunst: die absolute Gegenstandslosigkeit“ ist noch bis zum 9. März in der Galerie Ruhnke, Charlottenstraße 122, zu sehen, geöffnet jeweils donnerstags bis sonntags von 14 bis 18 Uhr

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