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Kultur: Optimistin

Gesine Schwan bei „Klassik plus Gespräch“

Quotenfrau, Weltverbesserin, Wissenschaftlerin mit universitärer Vorzeige-Karriere, gar fleischgewordene Emanzipation? Gesine Schwan, 64, Präsidentin der Frankfurter Viadrina, mag von allem etwas haben. Am Donnerstag stellte sie sich im Nikolaisaal den sanften Fragen der rbb-Moderatorin Danuta Görnandt. Die Reihe „Klassik plus Gespräch“ der Kammerakademie Potsdam findet offenbar Gehör. Fast achtzig Gäste waren zu diesem Gespräch gekommen, indes vier Musiker (Matan Dagan, Violine, Friedemann Wollheim, Viola, Jan-Peter Kuschel,Violoncello, und Yael Kareth, Klavier) mit aller Leidenschaft einige Sätze aus den Klaviersonaten op. 25 und op. 60 von Johannes Brahms vortrugen, erste Sahne. Ein hochinteressanter Abend also, man fragte nach der Person, nach Wissenschaft, Zukunft und Politik. Gesine Schwan, seit eh medientrainiert, blieb stets souverän, eine Autorität eben.

Was sie heute mit aller Zufriedenheit als ein erfolgreiches Leben vorzeigen kann, wurde in der Kindheit vorbereitet. Ihr atheistischer Vater kam aus der linken Reformschulbewegung, die katholische Mutter stammt aus Oberschlesien vor 1919. „Emanzipation war bei uns zu Hause eine Selbstverständlichkeit!“ Ohne materielle Not studierte sie in den sechziger Jahren am Westberliner Otto-Suhr-Institut Geschichte, Politikwissenschaften, Romanistik und Philosophie. Nicht jedes Brodeln „der 68er“ hält sie heute für richtig, wohl aber das „Aufbrechen autoritärer Strukturen“, woran auch die Viadrina jetzt arbeite: Immer noch kämen (meist polnische) Studentinnen mit einem Knicks zu ihr, das mag sie nicht. Neben Französisch und Englisch auch fließend Polnisch sprechend, arbeitet sie längst an der akademischen Achse Frankreich – Deutschland – Polen. Polen ist „Wiedergutmachungsschuld“, ebenfalls eine Mitgift der Eltern. Beides, das väterliche Erbe und die Unruhe 1968, führt zur aktuellen Reform der Viadrina. Um sie von der „Wirtschaft unabhängiger“ zu machen, will die Befragte sie in eine „Stiftungsuni“ umwandeln, was ohne die Anwendung kapitalistischer Geldgesetze nicht geht.

Die eigene „Leistungsorientierung“ hat sie vom Elternhaus mitbekommen: „Mach“ was aus deinem Leben!“ Obwohl es mehrere Schicksalsschläge gab, scheint der Optimistin letztlich im Leben „alles verblüffend stimmig“. Vor allem lobte sie die Reife des Alters: Als Professor könne man sagen, „was man will“, und findet sogar die Ohren der Stummen. Zum Beispiel steht sie für langzeitige eheliche Bindungen und familiäre Werte: Falsch, die Karriere vorn anzusetzen. Zwischen 20 und 50 sollte man eine Familie aufbauen und erst dann mit aller Lebenserfahrung richtig loslegen, das wäre sogar für die Wirtschaft von Nutzen. Freilich weiß sie auch ihre beiden Kinder wieder privilegiert. Wenn Vater und Mutter Professuren haben, ist mancherlei möglich – was ihre Tochter aber nicht hinderte, gegen die mütterliche Autorität zu rebellieren. Es kommt eben alles zurück. Immer etwas neben dem Zentrum, immer ein wenig links – als Kandidatin der SPD für das Bundespräsidentenamt, im Kampf für mehr Autonomie der Hochschulen – bekämpft die Uni-Präsidentin unentwegt „institutionalisierte Autoritäten“. Dabei ist sie doch selber eine, ob sie nun will oder nicht. Als „praktizierende Katholikin“ gehört sie zu den „Linken“ unter den Rechtgläubigen. Wie man nun SPD und Katholizismus, Staat und Autonomie, Amt und Familienglück dauerhaft unter einen Hut zaubert, wäre kritischer nachzufragen gewesen. Vielleicht weiß das der Himmel allein. Gerold Paul

Gerold Paul

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