zum Hauptinhalt

Kultur: Rechtsextremisten als seriöse Biedermänner

In der Landeszentrale für politische Bildung dachte man über den modernen Rechtsextremismus nach

In der Landeszentrale für politische Bildung dachte man über den modernen Rechtsextremismus nach Was charakterisiert den modernisierten Rechtsextremismus? Diese drängende Frage hatte viele Menschen in die Landeszentrale für politische Bildung gelockt. Menschen unterschiedlicher Generationen und unterschiedlicher politischer Herkunft, wie die späteren Diskussionen zeigen sollten. Der Hauptreferent, Prof. Benno Hafeneger von der Universität Marburg, analysierte zunächst das Wahlergebnis der Bundestagswahl. Er spekulierte nicht über die möglichen Farben der neuen Bundesregierung. Hafeneger analysierte vielmehr die 3,9 Prozent Sonstige, von denen 1,6 Prozent auf die rechten Parteien entfielen. Wesentlich weniger als bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Aber eine Verdreifachung zur letzten Bundestagswahl 2002. Die Wahlerfolge der rechten Parteien DVU, NPD und Republikaner bei den Landtagswahlen hätten eine Euphorie und Selbstsuggestion innerhalb der dieser Parteien erzeugt. Die Hoffnung, durch Vereinheitlichung die Fünf-Prozent-Hürde zu „knacken“, hätte sich durch fehlende mobilisierende Themen und durch die fehlende Zeit nicht erfüllt. Die Entwicklung des Rechtsextremismus in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland teilte Hafeneger in fünf Phasen ein: die Reorganisationsprozesse alter Verbände nach dem Krieg, die NPD-Gründung 1964, das Auftauchen kleinerer Jugendgruppen, die Gründung der Republikaner 1983 mit charismatischen Führerpersönlichkeiten wie Franz Schönhuber ohne Verbindung zur Alltagskultur, nach 1990 die Vereinigung unterschiedlichster rechter Gruppen in die Alltagskultur. Die modernen Rechten zeichneten sich durch eine hohe Selbstwahrnehmung und Selbstsuggestion aus. Ihre bessere intellektuelle Ausbildung ermöglichte ihnen umfangreichere Krisendiagnosen. Als zentrale Metapher tauche immer wieder die Perspektivlosigkeit der Menschen in der Bundesrepublik auf. Die modernen Rechten versuchten eine nationale Aufbruchstimmung zu erzeugen. Zur Zeit gäbe es noch zwei Kampfrichtungen: eine außerhalb des Systems und eine in das Parlament hinein. Die in das System kämpfenden Rechten strebten eine ideologische Modernisierung an, um eine stärkere Wählerbindung zu erreichen. Wesensmerkmale der modernen Rechten wären eine Ethnisierung der nationalen Fragen, eine Vermischung von nationalen und sozialen Aspekten, eine Radikalisierung der Systemkritik, eine Propagierung des vormundschaftlichen, fürsorglichen Staates, Antisemitismus und Antiamerikanismus. Nach den Landtagswahlen in Sachsen sei ein extremer Öffentlichkeitsbedarf der modernen Rechten zu beobachten. Skandale wären bewusst inszeniert worden, besonders stark das Internet genutzt. Die modernen Rechten wären keine Außenseiter mehr, sondern seriöse Biedermänner, die in den Kommunen ein bürgerschaftliches Engagement betrieben. Starke Aktivitäten wären im Jugendfreizeitbereich zu beobachten, wo ihre Ideologie auf einen besonders fruchtbaren Boden fiele. An diese Feststellung bestätigte auch Martina Wanner aus Tübingen, die sich in ihrer Doktorarbeit mit rechter Alltagskultur im Spree-Neiße-Kreis auseinander setzt. Martina Wanner führte in „Manche sind auch ein bisschen rechts. Das wird akzeptiert und fertig“ Einzel-, Gruppen- und Experten-Interviews in drei ländlichen Jugendclubs. Als Grundtendenz traf Wanner immer wieder auf ein beteuertes Heimat- und Traditionsgefühl, auf die Perspektivlosigkeit der Jugend der Region nach der Strukturkrise, auf die Suche nach Geborgenheit und Orientierung in Gruppen und Cliquen und auf eine Aufteilung der Lebensordnung. Die politischen Äußerungen der Jugendlichen waren undifferenziert. Sie ähnelten den Stammtischparolen der Erwachsenen. Die Frage der Bildung im Elternhaus und der Erwachsenenbildung wurde in der anschließenden Diskussion aufgegriffen, an der auch eine empörte DVU-Abgeordnete teilnahm. Festgestellt wurde, dass der moderne Rechtsextremismus kein Jugendproblem darstellt, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Ein Problem, das noch immer Tabuisierungen unterliegt. Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false