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Kultur: Resignative Akzeptanz

Literaturlandschaft Ost-West: 15 Jahre danach – ein Streitgespräch

Literaturlandschaft Ost-West: 15 Jahre danach – ein Streitgespräch Von Matthias Hassenpflug Irgendwie hatten alle vier, die auf Einladung der Friedrich Naumann Stiftung in der Stadt- und Landesbibliothek auf dem Podium Platz genommen hatten, zunächst andere Erwartungen an die deutsche Einheit. Der Verleger Klaus Wagenbach war vor vierzig Jahren angetreten, um einen dezidiert gesamtdeutschen Verlag zu führen. Vor der Wende wurde ihm das von der DDR mit Einreise- und sogar Durchreiseverbot vergolten, weil er sich für Wolf Biermann einsetzte. Nun, 15 Jahre nach der Wende, macht sein Haus nur knapp sechs Prozent des Umsatzes im Osten. Ausgegangen war man von einem Umsatz, der dem Bevölkerungsanteil von etwa 20 Prozent entspräche. Wagenbach führte die wenigen Leser im Osten bei der von über Hundert interessierten Zuhörern besuchten Veranstaltung auf die Arbeitslosigkeit vieler Ost-Intellektueller zurück und auf den Wegzug der jungen Elite, die gewöhnlich gerade zur Förderung von neuen Autoren unerlässlich wäre. Spricht das lesende und verlegende Gesamtdeutschland immer noch zwei verschiedene Sprachen, gleich dem an der Kette liegenden Hofhund, der unsterblich in die ignorante Henne verliebt ist, wie der Liedermacher und ehemalige Dissident Stefan Krawczyk in seiner der Diskussion vorangestellten melodischen Fabel beschrieb? Der Verleger Christoph Links meinte, während der Buchhandel als Absatzgebiet für die westdeutschen Verlage erhalten geblieben wäre, wurden traditionelle Verlage als missliche Konkurrenz vom Markt verdrängt. Links beschrieb am erschreckenden Beispiel des renommierten Verlages Volk und Welt, wie eine Allianz aus Unvermögen der Treuhand und unternehmerischen Hasardeuren kulturelle Werte vernichten half. Sein eigener Verlag, schon während der Wende gegründet, hat sich mit seinem kritischen Sachbuchprogramm etabliert. Schmunzelnd erzählt er, wie er jetzt schon damit aufgezogen würde, dass er sich sogar eine gleichnamige Partei, die Linkspartei eben, leisten könnte. Versöhnlich blieb es in der vom Potsdamer Buchhhändler Carsten Wist moderierten Runde, bis Peter Schneider, ein „linker Antikommunist“– wie er von sich selbst sagte – Links für seine viel zu pessimistische Beschreibung kritisierte, in der die 35 Jahre Misswirtschaft unbeachtet geblieben wären. Er zählte die hohen Transferleistungen in der Kulturförderung von West nach Ost als Gegenargument auf, und machte darauf aufmerksam, dass viele hüben wie drüben anerkannte Autoren aus dem Osten kommen, die Kunst aus Leipzig und Dresden wäre auch ein Erfolg. Auf diesen höflichen, aber bestimmten Widerspruch antwortete es aus dem Publikum, um Frieden bemüht: „Nicht polarisieren, nicht polarisieren!“ Schneider, Autor von „Lenz“ und „Der Mauerspringer“, unter Willy Brandt mit Berufsverbot belegt, galt im Westen wegen seiner linken Positionen, wie er selbst sagte, schon fast als „DDR-Autor“. In der DDR verhinderte die Zensur, dass seine Bücher verlegt wurden. Er teilt damit das bis heute nachwirkende Schicksal von den in die Bundesrepublik ausgewiesenen Autoren: im Osten waren und sind sie, aufgrund des Nachhalls der Zensur, unbekannt. Fast schon „Hass“ macht Schneider aus, wenn ausgereiste Kollegen auf jene träfen, die dageblieben wären, wie Christa Wolf oder Heiner Müller. „Niemand kann schlechter miteinander sprechen als sie“, beschrieb er seine Eindrücke. Die trennende Wirkung der Mauer wirke nach. Der durch seine Ausweisung auch im Westen bekannt gewordene Sänger, Autor und Kabarettist Stefan Krawzcyk wollte von diesen „Gesinnungsveteranen“ nichts mehr wissen. „Alles fließt“, hat er zu seinem persönlichen Motto gemacht. Im Westen musste er lernen, dass „es nur einen geben kann“, das war der alles beherrschende Wolf Biermann. Krawzcyk schreibt nun alle zwei Jahre ein Buch, und wenn sie, wie zur Zeit, nicht lieferbar sind, dann spiele er eben Kabarett oder singe Lieder. Er hat mit der trägen Publikumserwartung zu kämpfen, die ihn immer noch in der Rolle einer tragischen Figur sehen will, auf die er nun einen wütenden „Rochus“ hat. Klaus Wagenbach, von Wist nach den Versäumnissen der Vereinigung befragt, bedauerte, dass sich nicht Zeit genommen wurde, „Menschen, die sich unbekannt waren, gegenseitig bekannt zu machen.“ Es würde eine ganze Generation nötig sein, also noch einmal fünfzehn Jahre, um die aufgehobene Teilung auch auf dem Gebiet der Literatur überwunden zu haben. Welches Bild beschreibt den Zustand der Verlags- und Literaturlandschaft am besten? Der Moderator legte vor: Man sitzt in einem alten Westauto, im Radio läuft „Knocking on Heaven“s Door“ von Guns & Roses, es regnet und man steckt im Stau. Man einigte sich auf eine „resignative Akzeptanz“, in der man die neuen Verhältnisse zwar angenommen habe, in ihnen aber mürrisch verweile, wie Verleger Links einwarf. Oder traf der sublime Witz des selbst ernannten Narren Krawczyk zu? Bei ihm tritt nämlich der „Rat der inneren Armut“ zusammen und teilt die Freude, und der so gebildete „Rat der geteilten Freude“ erklärt einfach „den Himmel zum Dachgeschoss“.

Matthias Hassenpflug

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