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Kultur: Rezeptfreie Behandlung!

„Noch Schmerzen?“ fragen Michael Ranz und Edgar May im Kabarett Obelisk

„Noch Schmerzen?“ fragen Michael Ranz und Edgar May im Kabarett Obelisk Von Dirk Becker Edgar kann nicht, denn er ist krank. Und da er ein Mann ist, will er das auch auskosten. Er muss leiden, denn je kleiner das Wehwehchen, umso größer das Geschrei. Michael leidet auch. Seine Krankheit aber heißt Edgar und bereitet ihm größte Kopfschmerzen. Denn wenn Edgar kränkelt, dann muss Michael ihn mit Samt-, pardon, Gummihandschuhen anfassen, damit der gemeinsame Auftritt nicht ins sprichwörtliche Wasser fällt. Doch vergebliche Mühen die er da aufwendet. Der eingebildete Infekt hat die beiden fest im Griff und so hilft nur noch eins: Jammern bis der Arzt kommt. Dass Männer, bei der kleinsten Schramme schon, sich als die größten Heulsusen entpuppen, wussten wir bereits. Dass Frauen, durch das Privileg des Gebärens, schmerzrenitente Wesen sind, auch das war uns längst bekannt. Doch so treffend, amüsant und zotenreich wie es Edgar May und Michael Ranz in ihrem neuen Programm „Noch Schmerzen?“ auf den Punkt bringen, hat man es selten erlebt. Bei ihrer ausverkauften Premiere im Obelisk bewiesen die beiden am Samstagabend, dass sie in Sachen Krankheit und sämtlicher Nebenfolgen keine Quacksalber, sondern ausgewiesene Spezialisten sind. Und so verwunderte es kaum, dass nach erfolgreicher, gut zweistündiger Operation das Publikum tobte und drei Zugaben einforderte, als hätte jemand in der Pause hochdosierte Fröhlichmacher in Pillenform verteilt. Doch die waren gar nicht nötig, denn May und Ranz wissen ganz genau, dass Lachen immer noch die beste Medizin ist. Ob Gesundheitsreform, Körperwelten, Organspende, Eigenurintherapie oder Zahnersatz, den beiden ist kein Thema zu schade, überall doktern sie herum. Und würden ihre Diagnosen auch nicht unbedingt der Prüfung durch eine ausgewiesene medizinische Expertenkommission standhalten, durchschlagend sind sie auf alle Fälle. Ob nun der depperte Günther, der umgeben von Atomkraftwerk, Müllverbrennungsanlage und Asbestfabrik fröhlich in seinem Eigenheim lebt und sich glücklich schätzt, solange er den Atomstrom günstig und die Asbestplatten 30 Prozent billiger bekommt. Dagegen bleiben seine Leukämie und der Magenkrebs doch nur zu verzeihende Lappalien. Oder der tuntige Trendsetter, dem jegliche Krankheit recht ist, Hauptsache sie ist fremd, ausgefallen und der Blickfänger schlechthin. Schon die Namen SARS oder Ebola führen ihn vor Begeisterung fast an den Rand einer Ohnmacht. Michael Ranz wechselt die Rollen wie Hypochonder die Ärzte. Sein Repertoire scheint unbegrenzt. Grandios als penetranter Rentner, der in den Wartezimmern auf der Lauer hockt, um jungen Menschen die ausgefallensten Krankheiten an und in den Körper zu reden. Fast dem Wahnsinn nahe, wenn er sabbernd singend, den Nekrophilen gibt. Apropos Gesang: der war immer ein Höhepunkt an diesem Abend. Ob der Wollust gewidmet, mit perfekten balztechnischen Tanzeinlagen von Ranz, von der Wanderlust der Innereien erzählend, im Stile der Schlager der 20er Jahre oder bekannte Popmelodien intonierend, musikalisch sind May und Ranz ein unschlagbares Team. Und als beim Lied von der Wanderniere, die Rede auf die Maut kam, die das reiselustige Organ zu entrichten habe, da durfte der, als Privatmann anwesende Verkehrsminister Stolpe sich ganz persönlich willkommen geheißen fühlen. Natürlich wurde auch ausgiebig in den medizinischen Untiefen gefischt. Ob Impotenz oder wie Ranz und May so korrekt wie schön sagten: „erektile Dysfunktion“. Ob „mors in coito“ oder das Hämorridenleiden, der Rundumschlag in „Noch Schmerzen?“ war ein allumfassender. Am Anfang ihrer Therapiesitzung murrte Edgar May, dass in den nächsten Tagen in der Presse garantiert zu lesen sei, das Ranz wieder groß und er in seiner Begleitung am Klavier wegen der, seiner Krankheit geschuldeten Gummihandschuhe nur unsensibel gewesen sei. Da können wir ihn beruhigen. Zwar war Michael Ranz oft Mittelpunkt des Abends. Doch gerade die Begleitung von May, sein verschmitztes Grinsen und die gelegentlichen Kommentare, sind das Salz in dieser Gesundheitssuppe. Oder um im Fachjargon zu bleiben: Ohne May wäre Ranz nur ein Placebo. Und so bleibt nur noch die Empfehlung bei leichter Schwermut und allzu großem Unmut über die Praxisgebühr über einen Besuch des Kabaretts nachzudenken. Bei ausgiebigem Genuss von „Noch Schmerzen?“ ist zwar mit Nebenwirkungen zu rechnen, doch die Behandlung ist garantiert rezeptfrei.

Dirk Becker

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