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Kultur: Seelengesang

Portugiesischer Fado mit Misia und dem Filmorchester Babelsberg im Nikolaisaal

Das portugiesische Wort für Herz (coração) enthält so viele akustische Nuancen, dass es hinter dem einsilbigen deutschen (und englischen) Begriff weit zurückfällt. Gesungen kommt dieser klangliche Reichtum erst Recht zur Geltung. Wenn die Sängerin Misia „coração“ singt, meint man zu spüren, wie sie ihr Herz dem Publikum zu Füßen legt.

Auch wenn Misia, die Grande Dame des Neuen Fado, ihre Lieder schon beinah überall gesungen hat, erweckt sie immer wieder Begeisterung für die melancholischen Gefühlstiefen des Fado-Gesangs. Erstmals in Deutschland trug Misia ihr neues Programm „Saudades symphoniques“ in Potsdam vor, eine Mischung aus bekannten Fados und anderen Liedern in symphonischer Fassung mit einem Streichorchester und zwei Gitarren. Dafür gab es im ausverkauften Nikolaisaal stehende Ovationen.

Das zweistündige Konzert mit dem großartig aufgelegten Filmorchester Babelsberg unter Leitung von Scott Lawton gerät erfolgreich, auch wenn die symphonischen Variationen etwas gewöhnungsbedürftig wirken. Dass dennoch viel Fadoflair versprüht wird, war neben Misias Präsenz auch den beiden fantastischen portugiesischen Gitarristen zu verdanken.

Misia ist kein Mythos. Zwar verkörpert sie wie keine andere Künstlerin vor ihr die Lebenswelten der iberischen Halbinsel. Als Tochter und Enkelin von katalanischen Revuetänzerinnen und eines gutbürgerlichen portugiesischen Vaters reicht ihr kulturelles Spektrum von Barcelona über ihre Geburtsstadt Porto bis nach Lissabon. Inzwischen steht Misia siebzehn Jahre auf den internationalen Bühnen, sie machte Fado, den Seelengesang des portugiesischen Gefühls der „saudade“ (Weltschmerz) international bekannt, erlebte Höhen und Tiefen, künstlerische Wandlungen und ist doch sich selbst treu geblieben.

Schlicht und scheu beginnt Misia den Kontakt mit dem Potsdamer Publikum, dankt auf deutsch für die Anwesenheit. Eine sehr menschliche Note, warm und mit einer Prise Humor, zieht sich durch ihre Moderationen in englischer Sprache. Doch erst, als sie ein Lied komplett neu beginnt, scheint der Bann gebrochen. Den Lapsus kommentiert sie mit einem lapidaren „That“s Fado – Destiny“ und stürzt sich nun umso energischer in die Musik.

Was die New York Times einst schrieb, stimmt immer noch: Misias Stimme kann wie Säure, Samt oder Rauch klingen. Wie aus einem tiefen Brunnen dringen die dunklen, metallischen Töne aus ihrem Innern hervor. Ähnlichkeiten mit Edith Piaf existieren klanglich und äußerlich, werden unterstrichen durch das Lied „Les mots d“amour“, bei dem Scott Lawton als brillanter Pianist begleitet. Auch die Ausflüge zu einem türkischen Tango und zum Klassiker „As Times goes by“ dokumentieren mehr stilistische Vielfalt, als dass sie wirklich überzeugen. Herb und innig erklingt „Nanas de Cebolla“, ein spanisches Wiegenlied des Hungers und der Liebe nach einem Text des früh verstorbenen Dichters Miguel Hernandez.

Misias Domäne bleibt der Fado. Sie begeistert selbst in den arg weichgespülten Arrangements für vierundzwanzigköpfiges Streichorchester. Sei es der tränenselige Klassiker „Lágrima“, das abgrundtieftraurige „Sem saber“ oder das untröstliche „Cancão de Alcipe“ – ein einziges Jammern und Klagen. Das soll ja sehr gesund für die Seele sein, wie schon Aristoteles gesagt hat, ist aber in unseren Zeiten eher verpönt. Immerhin einer freut sich die gesamte Zeit und strahlt übers ganze Gesicht. Der erst 18-jährige Spieler der portugiesischen Gitarre sieht aus wie ein Lausbub und spielt wie ein Engel. So heißt er auch: Angel Freire, ein Name den man sich merken sollte. Sein brillantes und lässiges Spiel – auswendig natürlich – darf er auch solistisch vorzeigen.

Die letzten Töne gebühren natürlich Misia und dem Fado: „À beira da minha rua“. Bei diesem traditionellen, ohne Begleitung gesungenen Lamento kommt die ursprüngliche, herzergreifend klagende Inbrunst ganz zur Geltung. Dass das Wort Herz eigentlich drei Silben und unzählige Klangfarben besitzt, wissen die Zuhörer nun ganz sicher.

Babette Kaiserkern

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