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Kultur: Söhne von Juden in Nazi-Uniform Erstaufführung des Dok-Films „ Soldaten mit dem Halben Stern“

Sie sitzen in ihren Wohnzimmern, stehen an Fenstern und Flussufern und erzählen ihre Geschichte, als wäre alles vor allem ein böses Missverständnis. Hitlers Rassegesetze, ihr Ausschluss aus der Hitlerjugend, die Zeit bei der Wehrmacht.

Sie sitzen in ihren Wohnzimmern, stehen an Fenstern und Flussufern und erzählen ihre Geschichte, als wäre alles vor allem ein böses Missverständnis. Hitlers Rassegesetze, ihr Ausschluss aus der Hitlerjugend, die Zeit bei der Wehrmacht. „Ich wollte so sein, wie die anderen“, sagen die alten Männer. Einer hat Tränen in den Augen, als er erzählt, wie sie ihn aus der Armee warfen, als sie heraus bekamen, das er „Halbjude“ ist. Er fühlt sich deutsch, noch immer, sagt er, und das er gerne, und zwar ganz und gar Soldat war. Dreizehn Zeitzeugen hat die Regisseurin Heike Mundzeck für ihren neuen Film „Die Soldaten mit dem Halben Stern“ vor die Kamera geholt, die als „Halbjuden“ in der Wehrmacht gedient haben. In der 90-minütigen, in Zusammenarbeit mit dem WDR für das TV produzierten Film, erzählen sie von dem Zwiespalt, gleichzeitig Täter und Opfer und dabei doch weder das eine noch das andere gewesen zu sein. Am Montag lief der Streifen als deutsche Erstaufführung im Filmmuseum über die Leinwand, als Eröffnungsfilm zu der Ausstellung „Überlieferte Erinnerungen“ (die PNN berichteten). In Anwesenheit der Regisseurin und einiger Zeitzeugen. In den nächsten Monaten steht der Dokumentarfilm in Kinos auf dem Programm, danach läuft er im Fernsehen. Auf die Idee zum Film kam Heike Mundzeck durch den Amerikaner Bryan Mark Riggs. Der Historiker reiste in den neunziger Jahren nach Deutschland, um auf den Spuren seiner Vorfahren zu wandeln. Dabei stieß er auf Peter, einen „Halbjuden“, der in der Hitler-Armee gedient hatte, und mit ihm auf ein Thema, das ihn nicht wieder losließ: Er interviewte mehr als 400 einstige deutsche Soldaten jüdischer Abstammung, unter ihnen Helmut Schmidt und Egon Bahr, und trug die gesammelten Daten in einem Buch zusammen. 150 000 „jüdische“ Soldaten sollen nach Rigg in der Wehrmacht gekämpft haben. Der Film übernimmt die Zahl und stellt einige von Riggs Zeitzeugen vor, befragt sie zu ihrer Identität, zu ihrem Leben. „Ich habe mich nie jüdisch gefühlt, sondern deutsch“ sagen viele, sie sind in christlichen Familien aufgewachsen. Sie erzählen von Selbsthass und dem Versuch, sich typisch jüdisches Verhalten abzugewöhnen. Ihre Vorfahren hätten für Deutschland gekämpft, nie hätten sie geglaubt, dass ihnen in diesem Land etwas angetan werde. Der Film dokumentiert die deutschnationale Geschichte der Familie Heidenheim. Till Heidenheim, der Sohn des in der Ausstellung porträtierten Hans Heidenheim, sitzt nach dem Film mit auf dem Podium. Film und Schau sind wichtig, sie machen bewusst, das es nicht den Juden gab, dass viele Juden erst durch Hitler gezwungen waren, sich über ihre Religion zu identifizieren, sie aber im Grunde treue Deutsche waren, sagt er. Auf dem Podium sitzt auch Fritz Steinwasser. Er berichtet, was er im Film erzählt. 1933, teilte die Familie die blonden Kinder der arischen Verwandtschaft und die dunkelhaarigen Kinder der jüdischen zu. Steinwasser hatte dunkle Haare. Als seine Verwandten dann nach Palästina ging, ließ er sich beschneiden und kam in ein jüdisches Kinderheim. „Der mit dem Judenpimmel“ haben sie später in der Wehrmacht gelästert. Aber sie ließen ihn in Ruhe, er erklärte die fehlende Vorhaut mit einer Operation. Emil Lux sitzt nicht auf dem Podium. Er spricht von der Leinwand über ein Thema, das viele der anderen Zeitzeugen auslassen. Der alte Herr lässt sich nicht in seiner Wohnung, sondern in einem schlichten Treppenhaus aufnehmen. Er erzählt, dass es damals in Deutschland eine Art Massenpsychose gegeben habe. Ohne es zu wissen, hat er selbst mitgemacht, war er, der Halbjude, Teil der Vernichtungsmaschinerie des „Dritten Reichs“. Eine unfassbare Erkenntnis für ihn, die er sich schwer abgerungen haben muss. Man meint es von seinem nachdenklich-traurigem Gesicht ablesen zu können. Als roter Faden, läuft der Historiker Rigg durch das Bild: Ein neugieriger Amerikaner, der mit Rucksack durch die Lande reist und mit Zeitzeugen auf Dachböden und in Kellern nach alten Fotos, Briefen und Urkunden sucht. Die Geschichte ist weniger schwarz oder weiß als er gedacht hat, sondern eher grau, bringt der Amerikaner sein neues Wissen mit einer alten Weisheit auf den Punkt. Die Regisseurin weist vom Podium herunter auf die Verschiedenheit der Lebensläufe hin, auf die individuellen Geschichten und Einstellungen. Die Szenen mit Rigg hat die Regisseurin nachgestellt. Er sei wichtig als Identifikationsfigur für jüngere Zuschauer. Damit sie nicht an dem Film vorbeizappen, lässt sie ihn durch das szenige Berlin spazieren. Mit ihrem Film greift sie ein nur wenig bekanntes Kapitel deutscher Geschichte auf. Es ist spannend in den Gesichtern der alten Männer zu forschen. Sich ihre Lebensgeschichten, ihre Reflexionen anzuhören macht nachdenklich. „Die Soldaten...“ ist ein in dieser Hinsicht wertvoller Film, wenn die Dokumentation mit ihren historischen Rückblicken bis zu den napoleonischen Befreiungskriegen, den nachgespielten Szenen und historischen Informationen auch ziemlich überladen ist. Marion Hartig

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