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2018 fotografierte Anne Heinlein in einer ehemaligen Kaserne in Wünsdorf.

© Anne Heinlein

Sperrzonen in der DDR: Anne Heinlein erkundet „Geheimes Land“

Die Potsdamer Fotografin nähert sich in ihrem neuen Buch einstigen Verbotszonen an: militärischen Sperrgebieten.

Potsdam - Ganz vorne, da wo sonst oft Widmungen stehen, steht in diesem Buch ein schwer verdaulicher Satz. „Zwölf Prozent der ehemaligen DDR waren Sperrgebiete“. Dann, wie zur Selbstvergewisserung, noch einmal auf Englisch. Eine Doppelseite weiter baut sich ein solches Sperrgebiet visuell vor einem auf: schlanke, hohe Kiefern, wie Gitterstäbe. Die Potsdamer Fotografin Anne Heinlein hat sie 2018 in der Lieberoser Heide fotografiert.

Schon in einem 2017 erschienenen Buch hatte Heinlein sich mit dem Thema der Wüstungen auseinandergesetzt. Sie fotografierte Büsche, Wälder und Gestrüpp, wo einst ganze Dörfer gestanden hatten, und recherchierte gemeinsam mit Göran Gnaudschun die Biografien der Menschen, die in geheimen Aktionen umgesiedelt werden mussten. In „Geheimes Land“ setzt Anne Heinlein diese Auseinandersetzung jetzt fort. Diesmal nimmt sie vor allem militärische Sperrgebiete in den Fokus.

Einschussloch. Anne Heinlein arbeitet in ihren Fotoband auch mit Material aus Bundesarchiv für Stasiunterlagen.
Einschussloch. Anne Heinlein arbeitet in ihren Fotoband auch mit Material aus Bundesarchiv für Stasiunterlagen.

© BStU

Die Jahrzehnte vermischen sich

Insgesamt 13.300 Quadratmeter waren diese Sperrgebiete groß, größer als der größte Bezirk im Staat: Potsdam. Heinlein arbeitet auch in „Geheimes Land“ wieder mit einem Nebeneinander von Damals und Heute. Neben eigenes Material hat sie Material gestellt, das sie im Bundesarchiv für Stasi-Unterlagen recherchiert hat. Welches Motiv welcher Zeitschicht entstammt, ist im Buch nur anhand der Quellenverweise am Ende zu sehen. Die Jahrzehnte vermischen sich.

Die Gegenwart kann hier schwarzweiß sein, die Bilder der Stasi dagegen in verstörender Farbe. Einschusslöcher sind in Nahaufnahme zu sehen, auch ein blutbeschmierter Körper im Wald. Es sieht aus wie inszeniert, ist jedoch dokumentiert. Die Quelle: das ehemalige „Ministerium für Staatssicherheit“ (MfS). Welche Schicksale dahinterstehen könnten, macht Heinlein in Berichten des MfS ahnbar, die auszugsweise auch im Buch abgedruckt sind. Unfälle, Fahnenfluchten, Vergewaltigungen. Berichte, die in der DDR so geheim waren, wie Sperrzonen selbst.

Ehemaliges Sperrgebiet. Waldstück und Dickicht in der Lieberoser Heide.
Ehemaliges Sperrgebiet. Waldstück und Dickicht in der Lieberoser Heide.

© Anne Heinlein

Die Suche nach Wahrheit

In der Ballung, wie Anne Heinlein diese Materialien jetzt vorlegt, kann das auf den ersten Blick reißerisch wirken. Tatsächlich aber leistet dieses Buch ein wichtiges Stück Aufarbeitung, ohne alles auszuerzählen. „Es geht um Formen der Erinnerung, um die Suche nach Wahrheit“, sagt Anne Heinlein selbst. Historiker Peter Ulrich Weiß liefert die Einordnung in den lokalen Kontext: In Potsdam gab es 28 Dienststellen des MfS – und 1160 konspirative Wohnungen des Geheimdienstes. Und mitten in der Stadt das Untersuchungsgefängnis des MfS.

Auch die Autorin Julia Schoch hat einen Text beigetragen, der der Magie dieser Zeugnisse nachspürt. „Wer stets auf der Höhe der Zeit ist, ist in Wahrheit vielleicht nirgendwo“, heißt es da. Das geheime Land, das Heinlein in diesem Buch einfängt, beschreibt sie als eine Erinnerung daran, dass es auch heute, in der Zeit offener Grenzen, etwas gibt, „das sich sperrt“. Dieses Etwas rufe uns „auf diffuse Weise ins Gedächtnis, dass sie, die Geschichte, sich nicht einfangen lässt“.

„Geheimes Land“, Fotohof Edition 2022, 128 Seiten, 30 Euro, Buchvorstellung mit Anne Heinlein und Julia Schoch am 7.9. um 20 Uhr in der Buchhandling Viktoriagarten, Geschwister-Scholl-Str. 10, sowie am 19.9. in der Villa Quandt.

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