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Heimatsuche. In „Das Wasser im Meer“ eröffnet Familienoberhaupt Stefan Riedl (Bernd Geiling, r.) den Seinen beim Geburtstagskaffee, dass er nach Böhmen zurück will. Zu Fuß.

© HL Boehme

Kultur: Türen auf!

Mit „Das Wasser im Meer“ stellt sich das HOT zum Auftakt der letzten Spielzeit von Tobias Wellemeyer der finsteren Gegenwart

In einer Woche ist die Bundestagswahl gerade vorbei. Schon jetzt steht eine Partei fest, die sich in jedem Fall als Gewinnerin feiern wird – jene, die sich als Alternative beschreibt, von den anderen Parteien geschasst sieht und selbst vor allem für Spaltung steht. Zwischen „denen“ und „uns“, den Fremden und Deutsch-Deutschen. Im Brandenburger Landtag sitzt besagte Partei schon jetzt.

Es lohnt sich, sich das noch einmal vor Augen zu führen, denn mit dem am Freitag auf der Großen Bühne gefeierten Spielzeitauftakt ist das Hans Otto Theater (HOT) thematisch so nah an der Realität draußen vor der Tür wie selten. Das ist eine bejubelnswerte Tatsache – auch wenn das, was auf der Bühne zu sehen war, dann weniger euphorisierend war. Halten wir aber zunächst fest: Mit „Das Wasser im Meer“ zeigt das Haus, das noch bis Mitte 2018 von Tobias Wellemeyer geführt wird, dass es sich mit aller Kraft der Auseinandersetzung mit dieser Partei und der Heimatseligkeit, für die diese Partei steht, nach „Gehen und Bleiben“ weiterhin offensiv stellen will.

Mit „Das Wasser im Meer“ des jungen Gegenwartsautors Christoph Nussbaumeder (Jahrgang 1978) legt das Theater thematisch jetzt also nach. Uraufgeführt wurde der Text 2016 in Linz, für Potsdam hat Nussbaumeder eine Neufassung geschrieben. Im Zentrum des Stücks steht Stefan Riedl, ein Mann kurz vor seinem 80. Geburtstag. Ein „Heimatvertriebener“, geboren in Böhmen, als Kind nach Deutschland gekommen, Vater dreier, hier aufgewachsener Töchter. Jetzt, kurz vorm Ende, stellt er fest, dass Deutschland ihm nie zur Heimat wurde. „Hier war ich nur zuhause, das ist was anderes.“ Also möchte er zurück nach Böhmen, und zwar zu Fuß. Die majestätische Landschaft zieht auf großformatigen Schwarzweiß-Fotografien immer wieder durch das Bühnenbild: ein starkes Bild für die Omnipräsenz des Gestern im Kopf nicht nur des Alten. Wer aus der Familie Stefan dorthin zurück begleitet, soll – König Lear lässt grüßen – das größte Erbe bekommen. In die engere Auswahl als Begleiter kommen, allesamt zur Feier des 80. Geburtstags erschienen: die Töchter Katharina (Meike Finck), Bettina (Marianna Linden) und Anna (Katrin Hauptmann), sowie Katharinas Kinder Peter (Jonas Götzinger) und Ina (Marie Fischer). Einzig Enkelsohn Peter erklärt sich sofort bereit, seinen Großvater „heim ins Reich“ zu begleiten, wie Peter selbst es nennt. Nein, Peter sei nicht rechts, sagt Mutter Katharina immer wieder. „Nur eine Phase.“ Auch, wenn Peter ständig von „Negern“ und „Zigeunern“ redet.

Zu den innerfamiliären Spannungen, die durch den Beschluss des eigensinnigen Alten aufbrechen, kommt die als bedrohlich empfundene Tatsache, dass jüngst ein Flüchtlingsheim in einer Turnhalle in der Nähe vo Stefans Haus eröffnet wurde. Das kommt erst im Lauf des Stücks zur Sprache, spielt aber von ersten Szene an visuell eine Hauptrolle: Vorn sitzt Stefan auf seinem Sofa, im Hintergrund sind auf einer Leinwand die Schatten einer Flüchtlingsunterkunft zu sehen – Doppelstockbetten, Menschenumrisse. Schnell wird klar, dass hier nicht nur auf die Realität draußen verwiesen wird, sondern auch auf Stefans tief vergrabene, eigene Erinnerungen. Auch er selbst saß als Kind in einem Auffanglager, hatte als Böhme mit der Fremdenfeindlichkeit der Deutschen zu kämpfen.

Aus „den Flüchtlingen“ werden „wir Flüchtlinge“, das ist die unverhohlene Botschaft des Stückes. Und damit die auch ankommt, wird sie in der Inszenierung von Stefan Otteni groß, ganz groß geschrieben. So ist das Kind, das Stefan mal war, auf der Bühne anwesend – erst als Schatten, später als stummer Statist, gespielt von einem dunkelhäutigen Jungen. Das ist in seiner Fingerzeigerei geradezu ärgerlich. Auch die Flüchtlingsunterkunft rückt aus dem Bildhintergrund in die Bühnenmitte. Stefan selbst sitzt hier am Ende – wie damals als kleiner Junge. Alles kommt, wie es kommen muss – und alles wird auserzählt. Dafür bietet schon Nussbaumeders verplauderter Text, der fast jeder der vielen ernsten Wendungen mit komischen Dialogen quasi die Beine weghaut, die Vorlage. Die Regie von Stefan Otteni macht das Vordergründige des Texts noch vordergründiger, lässt gegen Ende gar Pegida-Rufe auf die Bühne schwappen – und kommt auch erst nach ein paar Schlenkern im Plot zu viel zum Schluss.

Was dennoch bleibt von diesem Abend, unter anderem: ein großartiger, weher, herrischer und alterseinsamer Bernd Geiling in der Hauptrolle. Ein verstörend aufrichtiger, einnehmender Jonas Götzinger als Neonazi-Enkel Peter. Und die gute Botschaft, dass es hier ein Theater gibt, das seine Tür der Gegenwart in dieser Spielzeit offenbar weit, ganz weit öffnen will. Lena Schneider

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