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Kultur: Überzeugend

Die Vokalistinnen im Kulturhaus Babelsberg

Da passte wirklich keiner mehr rein, so voll war der Saal des Babelsberger Kulturhauses am Sonntag. Die guten alten Soireen, bürgerliches Bildungsgut, sind eben noch immer nicht aus der Mode gekommen. In Potsdam gibt es sogar einen Verein, der solche Veranstaltungsform seit Jahren pflegt. Weil man aus dem Alten Rathaus neben St. Nikolai derzeit ein neues machen will, hat er in Babelsberg Gastrecht erhalten. Auf dem Programm stand diesmal eine sehr schöne Liederfolge der romantischen Art, darin es „Von Hexen, Feen und anderen Zauberwesen“ nur so wimmelte. Mal führt Loreley einen Jüngling in den Tod, mal brausen die Wasser des Meeres, mal kündigen Hexen Unheil an. Reine Damenwahl, wenn man so sagen darf, denn im Ensemble, acht Vokalistinnen meist aus Berlin, dazu die Sprecherin Anke Schüler, Isabel Fernholz am Klavier und die Bratschistin Birgit Mulch-Gahl als Gast, gab es nichts Männliches. Dafür war die erlesene Literatur, unter den Komponisten Johannes Brahms, Felix Mendelssohn, Giuseppe Verdi, Franz Schubert, unter den Autoren Storm, Goethe, Heine, Rilke, durchweg aus der Sippe des einstmals so starken Geschlechts.

Weil alle Sängerinnen im Hauptberuf entweder lehrend oder ausübend mit der Musik beschäftigt sind, nennt sich das Ensemble einfach Die Vokalistinnen. Ihre Spezialität ist eine Art Crossing-over: Wer Choristin ist, soll hier Gelegenheit zum solistischen Auftritt bekommen, Solistinnen umgekehrt. Ausgleich zum Beruf, Singen ohne Konkurrenz, aus Spaß an der Freude. „Wir muggen nicht“, so Judith Kamphues. Und so ging es auch in aller Frische und mit Henry Purcells „We are the spirits of the air“ los, was man den mit Blumen im Haar gezierten Damen – dreimal Sopran, zweimal Mezzo, dreimal Alt – auch sofort glaubte. Es folgten Solostücke wie Mendelssohns „Hexenlied“ oder Robert Schumanns „Waldesgespräch“, Duette in wechselnder Besetzung, zum Beispiel wie Brahms berühmte „Walpurgisnacht“, zu Vieren aufgeteilt der Vortrag von Schuberts „Erlkönig“ nach Goethe, oder als Oktett, wenn Verdis „Hexenchöre“ heranziehen. Ganz besonders exzellent gelang Hugo Wolfs „Nixe Binsefuß“ und „Elfenlied“, aber schließlich war der Mann ja selber ganz groß! Isabel Fernholz am Klavier gab alles, was sie zu geben vermochte, und das war sehr sehr viel. Man spürte einfach die Freude am Singen, am Gestalten eines Auftritts, an der unverwechselbaren Inszenierung eines Liedes mit diversen Temperamenten - und dem Grusel, der alles Romantisieren so behaglich macht. Der literarische Teil war so weit in besinnlicher Ordnung, nur würde bei der Schauspielerin Anke Schüler, mit Verlaub, weniger bestimmt mehr sein.

Doch wie immer auch, Feuer im Herzen und Engagement waren stets dabei, auch wenn man nicht an der Rampe stand. Natürlich waren die feinen Unterschiede zwischen einer ausgebildeten Solistin und nicht so geschulter Stimmlichkeit ab und an nicht zu überhören, aber ist nicht das ganze Leben ein „work in progress“? Am schwächsten dann die Finalstücke, Brahms, Opus 91 mit Bratschenbegleitung und Humperdincks „Abendsegen“: Da wollte man das Publikum wohl gleich mit zwei Tränen im Knopfloch zu Bette schicken. Trotzdem war der Gesamteindruck so überragend, dass man das Ensemble nach etwa 90 Minuten gar nicht mehr von der Bühne lassen wollte und alles beinahe noch mal von vorn begonnen hätte. Warum auch nicht.

Gerold Paul

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