zum Hauptinhalt

Kultur: Unteroffiziere wurden keine Dorfschullehrer

Contra Preußen-Klischees: Vortrag bei „Potsdam in Europa“

Contra Preußen-Klischees: Vortrag bei „Potsdam in Europa“ Von Erhart Hohenstein Kein Zweifel, das Preußen des 18. Jahrhunderts war eine Militärmonarchie. Darin unterschied es sich aber nicht von Ländern wie Frankreich, Russland oder Schweden. Was Preußen zu dieser Zeit nicht war: ein Staat, in dem alle Lebensbereiche durch militärische Regeln und Wertvorstellungen bestimmt wurden. Das hätten Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, und Friedrich der Große weder gewollt noch angesichts der unausgereiften Verwaltungsstrukturen gekonnt. Um diese grundsätzliche Feststellung zu stützen, widerlegte Prof. Dr. Bernhard R. Kroener von der Uni Potsdam am Donnerstagabend in seinem Vortrag „Preußen als Militärmonarchie – ein Sonderweg in Europa?“ zahlreiche Klischees. So sei der Kompaniechef eben in der Regel nicht gleichzeitig der Gutsherr des Soldaten gewesen. Vielmehr setzte der König bewusst Offiziere nicht in ihrer Heimatregion ein. Von den adligen Gutsherren leistete nur ein Viertel Dienst in der Armee, unter Friedrich II. dann ein Drittel. Meist wählten ihre jüngeren Brüder den Offiziersberuf, und das vornehmlich aus Versorgungsgründen. Erreichten sie die einträgliche Stellung eines Kompaniechefs nicht, nahmen sie in der Regel ihren Abschied. Der Dienst der meisten Soldaten nahm nur etwa drei Monate im Jahr ein, in der restlichen Zeit gingen sie als Freiwächter einem Beruf nach und waren in die städtische Bevölkerung integriert. Sie lagen in Potsdam in Bürgerquartieren, und auch die ersten Kasernen ordneten sich in die Baufluchten der Wohngebäude ein. Von den „Enrollierten“, den schon im Kindesalter für den späteren Militärdienst eingeschriebenen Bewohnern der den Regimentern für die Personalauffüllung zugewiesenen Kantone, wurden laut Kroener durchschnittlich nur 13,5 Prozent wirklich eingezogen. Dazu trug auch bei, dass eine Körpergröße von mindesten 1,69 Metern gefordert wurde. Die Regimentschefs hatten mit den lokalen Behörden oft schwierige „Aushandlungen“ zu führen, um ihren Soldatennachwuchs zu sichern. Die entscheidende Grenze für die Stärke der Armee setzte jedoch die ökonomische Stabilität des Landes, die nicht gefährdet werden durfte. Mit 3,6 Prozent Anteil der Militärs an der Gesamtbevölkerung wurde diese Grenze erreicht. Dennoch war die Armee mit 80 000 Mann der der bevölkerungsreichen Großmächte zahlenmäßig weit unterlegen. Frankreich etwa brachte bei einem Prozent Militäranteil 200 000 Mann auf. Durch Anwerbung ausländischer Siedler und im Krieg durch Gebietseroberungen versuchten die preußischen Könige die Bevölkerungzahl zu erhöhen, um mehr Soldaten einziehen zu können. Prof. Kroener wandte sich ebenso gegen die Ansicht, die Verwaltung und das Erziehungswesen seien in Preußen von ehemaligen Militärs dominiert worden. Nur 32 Prozent der Kriegs- und Domänenräte hatten ein militärisches Vorleben, zudem seien sie wachsend und dann vorrangig mit zivilen Aufgaben betraut gewesen. Folgerichtig wurde ihr Titel durch die preußischen Reformer nach 1800 in Regierungsrat geändert. Dass in den Dorfschulen massenhaft ausgediente Unteroffiziere als Lehrer eingesetzt wurden, bezeichnete der Militärhistoriker als Ammenmärchen“. In ihrem Kommentar zu Kroeners Vortrag, der innerhalb der vom Zentrum für Zeithistorische Forschung veranstalteten Reihe Potsdam in Europa“ stattfand, ging Prof. Dr. Beatrice Heuser – die neue Forschungsdirektorin des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes stellte sich erstmals der Potsdamer Öffentlichkeit vor – unter anderem auf die Verehrung und Verherrlichung von Kriegshelden ein. Auch das sei kein Beweis für die Bestimmung aller gesellschaftlichen Bereiche durch militärische Wertvorstellungen. Diese Heldenverehrung habe es von der Antike an in vielen Ländern gegeben und gebe es unter anderem in England und in den USA heute noch. Wurde also das alte Preußen des 18. Jahrhunderts den anderen europäischen Mächten dieser Zeit gleichgestellt und vom Vorwurf frei gesprochen, die unheilvolle Entwicklung Deutschlands bis hin zum Naziregime eingeleitet und verursacht zu haben, waren sich die beiden Militärhistoriker mit dem größten Teil des Publikums aber darin einig, dass es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wenn nicht zu einem „Sonderweg“, so doch zu einer besonderen Entwicklung in Preußen und Deutschland kam. Das politisch schwache Bürgertum begab sich nach der verlorenen Revolution von 1848/49 und den erfolgreichen Einigungskriegen gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) willig unter das Schutzschild von Bürokratie und Militär. Notwendige Reformen wurden „von oben“ veranlasst. So drangen Obrigkeitsdenken und militärische Wertbegriffe nun tatsächlich in alle Gesellschaftsbereiche ein. Die Abkehr vom System des westlichen Parlamentarismus und der bürgerlichen (als weichlich diffamierten) westeuropäischen Lebensweise leitete die Entwicklung in Bahnen, die sich für Deutschland schließlich als verhängnisvoll erweisen sollten.

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false