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Kultur: Versunken geglaubte Theaterwelt

Uraufführung der Dramatisierung des Romans „Leyla“ von Feridun Zaimoglu am Hans Otto Theater

Von Anatolien nach Potsdam ist ein weiter Weg. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu hat in seinem 500-Seiten Roman das Mädchen Leyla in der Armut der Osttürkei losgeschickt. Auf der Premiere in der von Anne-Sylvie König und Regisseur Yüksel Yolcu dramatisierten Fassung hat sich Leyla irgendwo zwischen dem lauten Bühnentreiben und ihrer zur Schau gestellten Schüchternheit rettungslos verlaufen. „Dies ist eine Geschichte aus der alten Zeit“, heißt es im Buch und im Stück. „Es ist aber keine alte Geschichte.“ Auf den Bestseller treffen diese Worte zu. Leyla, in Potsdam inszeniert, ist jedoch altmodisches Theater.

Schon der Applaus vor der Pause fiel beängstigend verhalten aus. Zur zweiten Hälfte, die dann die zweieinhalb Stunden voll machte, waren die Reihen sichtbar gelichtet. Selten war ein „Jubel“ nach dem Ende einer Uraufführung stiller. Woran lag es? An einer Vorlage, dessen Nuancen zwischen knospender Frauwerdung und kraftvollen Mythen sich sowieso schwer auf der Bühne zum Leben erwecken lasse? Da wirkt die ungelenke Erzählerfigur – einzig nennenswerter Regieeinfall – des „weisen Irren“ (Christian Klischat), der dem Publikum diese Magie der Momente vermitteln soll, wie ein sommernachtsträumender Puck, der in den Mehlkübel gefallen ist. Er geistert hinter Leyla her, selbst als er im zweiten Teil schon jeglicher Funktion durch die aus dem Off tönende Stimme beraubt ist.

Heraus kommt pures Stationen-Theater: Arme Kindheit mit bösem Vater, erste Menstruation, Großstadt, Heirat. Zum Schluss: Deutschland. Wo ist der rote Faden versteckt gewesen? Geht es etwa um die Kritik am Patriarchat, verkörpert durch den bösen Vater Halid Bey? Jene Machtstrukturen, die laut haarsträubend naivem Programmtext auch in Industrienationen bei der „Übernahme von globalen Firmen“ anzutreffen sind? Michael Scherff gibt den Halid als brüllenden und nuschelnden Proleten. Manchmal kann Schweigen bedrohlicher sein. Oder steckt hier der schüchterne Versuch dahinter, ein wenig Islamkritik zu üben und ein Skandälchen zu entfachen?

Nein, davor schützt eine einfältige Auffassung von politischer Korrektheit, die einen sehr weichgespülten Orientalismus vorführt. Die Inszenierung hat Angst, zuviel von der archaischen Türkenwelt vorzuführen, weil damit womöglich die Übertragbarkeit der „Botschaft“ auf das Heute gefährdet wäre.

So wanken auch Bühnenausstattung und Kostüme (Gabriella Ausonio) zwischen Zitat, Leere und Unentschlossenheit. Die kahlen Stämme im ersten Teil, mit der die Fläche schlicht bestückt ist, markiert wohl den Wald, den man vor Bäumen nicht sieht. Wie treffend. Im zweiten Teil irritiert ein Baugerüst enorm, das als Wohnung von Metin (Moritz Führmann) und Leyla herhalten muss. Das Stück beginnt schon mit zweifelhafter Folklore. Das Ensemble tanzt wild zur Derwisch-Trommel. Die Frauen in fein gemusterten Kittelschürzen tragen ihre Kopftücher in einer Art, die an die bekannten Fernsehbilder erinnern, auf denen Bundeswehrsoldaten peinlich Muslime mimen.

Die Figuren und ihre Konflikte bleiben bei allem so fern wie Anatolien. Ausnahmen finden sich nur in den Nebenrollen: Rita Feldmeier als Großtante, die lebenslustige Freundin Manolya (Ulla Schlegelberger) und Kay Dietrich. Er, der in gleich vier Rollen schlüpft, spielt den General zwar viel zu überdreht. Aber er war einer der wenigen Hinweise darauf, dass es neben all dem Mitleid, das erzeugt werden soll, auch doch noch Spaß geben muss.

Ein zentraler Angelpunkt, an dem die Geschichte festmachen könnte, damit ihre Figuren sich entwickeln, fehlt. Leyla selbst (Caroline Lux) steht viel zu sehr am Rande der Großfamilie und der Ereignisse, um diese Funktion zu erfüllen. Sie trippelt schüchtern, knüllt ihr Kleid und schaut wie ein Reh.

Auf der Bühne herrscht allzu oft unkoordiniert wirkendes Tohuwabohu. Trauerfeier, Frauenbad und Hochzeitsszene mit Tanzeinlage sind in ihrer gemalten Theatralik operettentauglich. In diesen an Personen reichen Szenen wird wie im Schultheater zur klebrigen Musikuntermalung simple Pantomime betrieben. Wenn Leyla zum Beispiel ein großes Geschenk überreicht bekommt, wandert es durch die Hände ihrer Geschwister, die unter dem scheinbaren Gewicht Grimassen ziehen. Die Szenenabfolge wirkt wie durchgehechelt, die Übergänge werden von Musik (Marc Eisenschink) grob zusammen getackert, die die Führung der Gefühle übernehmen soll.

Wenn die Regie nicht beim Stück ist, können die Schauspieler auch nicht bei der Regie sein. Mit Leyla waren sie alle nicht am Hans Otto Theater, sondern in der Osttürkei einer schon versunken geglaubten Theaterwelt.

Weitere Aufführungen: 18.2., 16 Uhr; 24.2., 19.30 Uhr, Hans Otto Theater

Matthias Hassenpflug

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