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Interview mit Grit Poppe: „Vertrauen war ein politisches Risiko“

Als der Staat alles wissen wollte, war Liebe schwierig. Mit ihrem neuen Roman „Schuld“ bringt die Potsdamer Autorin Grit Poppe Jugendlichen DDR-Geschichte nahe

Frau Poppe, in Ihrem neuen Roman „Schuld“ geht es um das System DDR, die Schikanen, die Menschen erdulden mussten, die Ausreiseanträge gestellt haben. Warum erzählen Sie all das ausgerechnet mit einer Liebesgeschichte?

Einmal ist es ein Buch für Jugendliche, die erste Liebe ist das, was die meisten in dem Alter erleben. Und dann geht es ja auch um das Aufeinanderprallen von zwei verschiedenen Weltanschauungen. Gerade zum Ende der DDR gab es eben einerseits die starken Fluchtbewegungen aus dem Land, und andererseits die Menschen, die noch fest an den Sozialismus glaubten. Bei den Jugendlichen, selbst bei denen, die SED-treue Eltern hatten, kippte das aber. Viele bekamen Zweifel, was sicher schwierig war, sie hatten ja von klein auf gelernt, dass die DDR der bessere Staat sei. Und plötzlich haut der beste Freund ab in den Westen. Spätestens dann gerät man in Konflikte und ich denke, das ist auch für die Jugendlichen heute noch nachvollziehbar.

Grit Poppe, 1964 in Boltenhagen geboren, studierte Literatur in Leipzig und engagierte sich in der Bürgerbewegung. Heute schreibt sie Bücher für Jugendliche und lebt in Potsdam.

Für die Jugendlichen war es ein doppelter Umbruch: Die Veränderung vom Kind zum Erwachsenwerden und dann der Zusammenbruch des Systems?

Ja. Bei Jakob, der männlichen Hauptfigur in meinem Buch, mischt sich das ganz stark, dieser pubertäre Trotz und das Aufbegehren gegen die Situation im Land. Jakob ist auch einer, der sehr viel Widerstand leistet, als er merkt, wie schlecht seine Eltern und er durch den Ausreiseantrag behandelt werden.

Was waren denn die typischen Schikanen?

 Viele verloren den Arbeitsplatz, so auch Jakobs Eltern in dem Buch. Jakob bekommt das hautnah mit und auch, dass es seiner Mutter dadurch psychisch immer schlechter geht. Die verkraftet dieses ewige Warten auf gepackten Koffern, die dauernden Einschränkungen und Demütigungen nicht. Und der anderen Hauptfigur Jana bleibt nicht viel Zeit, Jakob kennenzulernen. Denn der hat von seinem Vater gehört: „Wir müssen nur ordentlich Ärger machen, dann schmeißen die uns schon raus.“

Das nimmt Jakob aber etwas zu wörtlich.

Ja, er beginnt, Flugblätter zu verteilen, fliegt von der Schule – wird erst recht trotzig und landet schließlich im Knast.

Kann man sich unter solchen Umständen überhaupt verlieben?

Klar haben Jana und Jakob Bedenken, sich tiefer aufeinander darauf einzulassen. Aber manchmal ist der Verstand beinahe ausgeschaltet. Es entwickeln sich Gefühle, die man nicht immer steuern kann.

Jana versucht dann aber, sich wieder von Jakob zu distanzieren. Weil beide einander misstrauen?

Das Misstrauen spielte auf jeden Fall immer mit hinein. Jakob vertraut ihr bewusst, weil er sagt: Wenn wir jetzt allen Menschen misstrauen, haben die gewonnen, die das Misstrauen säen. Trotzdem bleibt ein Rest Zweifel. Denn irgendwann bekommt er mit: Die Stasi weiß ja schon alles – er hat aber nur mit Jana geredet. Vertrauen war damals eben nicht nur ein privates, sondern auch ein politisches Risiko.

Jana und Jakob stehen aufeinander, sind gleich alt – und stehen doch ganz unterschiedlich zu diesem Staat. Warum?

Jana ist in einer heilen Welt aufgewachsen, auf dem Dorf, hatte nie Probleme mit dem Staat. Es gab für sie keinen Grund, zu zweifeln. In Berlin, wohin sie im Laufe des Buches zieht, war das schon anders, da haben die Schüler auch mal frei ihre Meinung gesagt, ganz gleich, wie der Lehrer reagierte.

Sie haben für das Buch auch in den Stasiakten Ihrer Familie recherchiert – und das auch teilweise dokumentiert. War Ihnen das nie zu intim?

Nein, Berichte von IMs, Inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit, habe ich ja nicht online gestellt, eher Karteikarten, die auflisten, bei welchen Veranstaltungen ich war, oder Beurteilungen über meine politische Einstellung. Ich denke, das kann man machen, die Jugendlichen heute sollen sehen können, dass die Stasi wirklich jeden Mist aufgeschrieben hat. Die Frau meines Vaters, Ulrike Poppe, rief mich damals an, sagte, setz dich mal und sagte mir dann die Namen durch. Es waren auch gute Freunde von mir darunter. Mich hat erstaunt, dass sie überhaupt eine Akte über mich angelegt hatten.

Womit hing das zusammen?

Zum einen mit meinem Vater und zum anderen damit, dass ich geschrieben habe. Auch das war schon verdächtig.

Deshalb haben Sie angefangen, das Ganze literarisch aufzuarbeiten?

Zunächst eigentlich nicht. Zwar spielte die DDR schon in meinem ersten Roman „Andere Umstände“ eine Rolle, aber das war noch keine Aufarbeitung im eigentlichen Sinne. Irgendwann, als meine Kinder im Teenageralter waren, fiel mir auf, dass über die DDR und ihre Opfer zu wenig bekannt ist. Die paar Fakten, die in der Schule vermittelt werden, bringen nichts. Eine emotionale Herangehensweise fehlte da völlig. Ich habe nach einem Stoff gesucht, der verdeutlicht, was eigentlich eine Diktatur ist und was auch jungen Menschen in einer solchen passieren kann.

Zu DDR-Zeiten haben Sie nie überlegt, rüberzugehen?

Nein, mir ging es darum, hier etwas zu verändern. Das Gefühl Ende der 1980er-Jahre, das war wirklich bleiern, nichts hat sich mehr bewegt. Die Maueröffnung kam dann sehr plötzlich – und für die Bürgerbewegungen auch zu schnell. Eigentlich wollten wir weitermachen, das war tatsächlich eine revolutionäre Stimmung, die dann von der BRD geschluckt wurde.

Sie haben das, was hinter der Mauer lag, als Kafkas „Schloss“ bezeichnet. Warum?

Das war ja fast egal, ob das nun Hamburg oder San Francisco war – beides war gleich unerreichbar. Ich hatte damals eine Kafka-Phase, vielleicht weil dieses Lebensgefühl in seinen Werken für mich dem in der DDR entsprach. Diese Vergeblichkeit. Und auch das Groteske.

Heute können viele Staaten, siehe USA, unbemerkt noch viel mehr über uns wissen. Ist das etwas, das Sie auch beschäftigt?

Ich halte den Vergleich von Stasi und NSA für schwierig. Die Konsequenzen sind ja völlig andere. Heute würde keiner in Haft kommen, weil er Flugblätter verteilt oder über Angela Merkel lästert. Dazu kommt: Die Stasi hat wirklich jedes private Detail abgeschöpft, alles benutzt – um Beziehungen zu zersetzen etwa. Aber es stimmt, in Ländern mit Diktaturen ist mit den heutigen technischen Möglichkeiten natürlich auch sehr viel vorstellbar.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

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