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Kultur: Volle Dröhnung

Tangerine Dream gaben Dantes Paradiso im HOT

Hymnische Gesänge, symphonische Klänge, hämmernde Rhythmen erfüllen das Hans Otto Theater. Im Hintergrund drehen sich dunkle Planetenkugeln vor sausenden Feuerwolken, Spiralnebel und durchsichtige Kugelformationen fliegen über die Leinwand den Zuschauern entgegen. Rauchschwaden wabern über die Musiker von Tangerine Dream, die mit den Brandenburgischen Symphonikern unter Michael Helmrath, dem neuen Kammerchor Potsdam sowie sechs Solistinnen „Paradiso“ aufführen. Das multimediale Spektakel nach Dante Alighieris Göttlicher Komödie schickt das Publikum auf einen optisch-akustischen Trip durch Sphären und Klangwelten – und offenbart seine Wurzeln in der psychedelischen Underground-Bewegung der Siebziger Jahre. Möglicherweise fehlt nur der Joint, um den Bild- und Klangrausch angemessen würdigen zu können. Aber vielleicht liegt es auch einfach an einer gewissen klanglichen, rhythmischen und dynamischen Einförmigkeit, dass nach zweieinhalb Stunden elektronisch-symphonischer Dröhnung die große Begeisterung ausbleibt. Schnell verlassen die Zuschauer den Saal, der bei Kartenpreisen von 40 Euro nur mäßig gefüllt war.

Edgar Froese, Begründer der Kultband „Tangerine Dream“, die als eine der wenigen westlichen Rockbands 1980 in Ost-Berlin aufgetreten ist, bezeichnet die Arbeit an Dante Alighieris Versepos „Divina Commedia“ als sein Lebenswerk. Paradiso, der dritte und letzte Teil, wurde kürzlich im Brandenburger Theater uraufgeführt. Froeses Paradies klingt sehr weiblich, und folgt so durchaus Dante, der sich von seiner Muse Beatrice den Weg zu Erkenntnis und mystischer Glückseligkeit zeigen ließ. Sechs attraktive Sängerinnen, zwei aus dem Rockmusikfach (Tatjana Kusheva, Jayney Klimek), zwei aus dem Opernfach (Barbara Kindermann, Sopran, Saskia Klumpp, Alt) sowie eine Rezitatorin (Bianca Aycquaye) und eine weitere Sängerin und Percussionistin (Iris Camaa) bestimmen den Ablauf, der textlich leider völlig unverständlich bleibt. Dabei hätte man gern gewusst, was die Damen zu solch jubelnden, inbrünstigen Arien veranlasst haben mag. Die Kenntnis von Dantes weltumspannender, gedankenreicher, ebenso bildhafter wie mathematisch präziser Dichtung aus drei Teilen in jeweils dreiunddreißig Gesängen à 47 Dreizeilern (Terzinen) kann wohl kaum vorausgesetzt werden.

So bleibt der akustische Eindruck eines opulenten Oratoriums im neoromantischen Spätstil haften. Esoterisch dräuende Wagner- und Mahlersymphonik wechselt mit elegischen Musicalhymnen und rockigen Soundtracks. Englisches Horn, Sopransaxophon (Linda Spa), Pauken, Posaunen und Violinen tremolieren und vibrieren zum konstanten Wabern und Wummern der Synthesizer (Edgar Froese, Thorsten Quaeschnig). Riesige Klangwellen schwellen ins XXXL-Format an, bis zuletzt ein kleiner Junge (Fridolin J. Harms) auftritt, den man nur wahrnimmt, wenn man ihn sieht, so sehr verschwimmt seine Stimme in den megalomanischen Metamorphosen der Klänge. Den Freunden des typischen Tangerine Dream-Sounds bietet dieses Werk womöglich neue Offenbarung, andere werden sich mit derartiger Klangdröhnung eher schwer tun. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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