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Die Weltenmacher. Nichts ist, wie es scheint, auf der Bühne des Hans Otto Theaters. Was aussieht wie Beton, ist Pressspan, der Himmel manchmal nur ein Vorhang. Und vom Bühnenraum, der in Wahrheit riesig ist, sieht der Zuschauer nur den kleinen Teil, der bespielt wird.

© Andreas Klaer

PNN-Serie Hinter den Kulissen: Die Kulissenbauer: Vorsicht, Zug!

Zur perfekten Illusion gehört ein Bühnenbild. Mal üppig, mal minimalistisch. Viele Gewerke sind daran beteiligt.

Potsdam - Jetzt wird es spannend. Die Wand, die eben noch auf dem Boden lag, richtet sich langsam auf. Etwa 500 Kilogramm hängen an mehreren Seilen. Auf der Bühne des Hans Otto Theaters steht ein Dutzend Männer und schaut zu, wie zum ersten Mal die Kulisse des neuen Stücks „Drei Schwestern“ ins Bild rückt. Sechs mal elf Meter groß ist die Wand, die in der hauseigenen Tischlerei gebaut wurde. Zusammengesetzt aus stabilen Holzrahmen und Platten, dazwischen Türen und Fenster mit Plexiglas. Beim Aufrichten verbiegen sich alles an den neuralgischen Punkten, gefährlich sieht das aus, die Männer stützen und schieben. Als sie endlich nur wenige Zentimeter senkrecht über dem Boden hängt, sagt Matthias Müller trocken: „Oh, sie hängt schief.“ So kann es nicht bleiben, das ist klar.

Lichtdoubles: Ein langweiliger aber wichtiger Job

Es ist aber keine Katastrophe. Bis zur Premiere des Schauspiels von Anton Tschechow am 8. April ist noch etwas Zeit. Auch wenn – das ist ein ungeschriebenes Gesetz – zuletzt immer Zeitdruck herrscht. Jetzt beginnt die letzte, anstrengende Probenphase, erstmals in der echten Kulisse. Dabei wird sich zeigen, ob alles so funktioniert, wie sich das der Regisseur und sein Team gedacht haben. Immer dabei ist jetzt der Licht-Kollege, der das Beleuchtungskonzept umsetzt. Wer soll wann in welchem Licht stehen? Welche Stimmung ist gewünscht? Was kommt in den Fokus, was bleibt im Schatten? Szene für Szene werden die Einstellungen der Scheinwerfer notiert und speichert. Das dauert oft einen ganzen Nachmittag – sogenannte Lichtdoubles stehen dabei stundenlang auf der Bühne herum, immer an den Positionen der Schauspieler. Ein langweiliger aber wichtiger Job, sagt Müller.

Matthias Müller ist seit 2009 Technischer Direktor und Ausstattungsleiter am Hans Otto Theater. Nach einer Möbeltischlerlehre arbeitete er zunächst am Staatstheater Darmstadt in der Oper, später freiberuflich und wurde schließlich von Tobias Wellemeyer nach Potsdam geholt. „Ich hab mir das Haus angeschaut und war sofort begeistert“, sagt Müller. Vor allem begeisterte ihn, dass sich die Potsdamer eine eigene Tischlerei direkt im Haus leisteten. Das ist nicht überall der Fall, sagt Müller, aber sehr praktisch. Kurze Wege zwischen allen Abteilungen im Haus ermöglichen schnelle, direkte Absprachen, Änderungen oder Reparaturen. Wenn ein Stück 20 oder 30 Mal aufgeführt wird, kann schon mal etwas kaputt gehen.

Erst ein Puppenstubenformat, dann das große Bühnenbild

Nach einem kleinen Modell im Puppenstubenformat entsteht in der Werkstatt das große Bühnenbild. In diesem Fall waren nach den Tischlern die Maler dran. Die Holzoberflächen bekamen einen Beton-Look verpasst. Durch ein extra großes Tor werden die fertigen Teile dann auf die Bühne gebracht. Nach Probe oder Aufführung verschwinden sie über die Rampe in einem Container im Innenhof. Die kompletten Welten aller aktuellen Stücke lagern im Gasometer. Nach dem letzten Vorhang wird das Bühnenbild meistens entsorgt. Man könne einfach nicht alles aufheben, die Lagerkapazitäten sind zu gering. Kleinere Spezialteile, Telefonzellen, Litfaßsäulen und Möbel, wandern ins Kulissenlager. Auch die teuren Plexiglasplatten dieses Bühnenbilds sollen im Haus verbleiben, sie nehmen nur wenig Platz weg. Außerdem muss Müller das Budget dieser und weiterer Produktionen im Blick behalten.

Etwa 22 neue Stücke werden jedes Jahr produziert. Gebaut wird zeitgleich an mehreren Bildern. Es ist Routine für die Mitarbeiter. Und doch unterscheidet es sich sehr von normalen Tischlerjobs. Trotz Leichtbauweise muss alles besonders stabil sein. Es sieht blöd aus, wenn der Schauspieler gegen eine vermeintliche Ziegelsteinwand boxt – und ein Loch in der Holzwand entsteht. Soll auf Tischen getanzt werden, baut man sie aus extra festem Buchenholz. Sollen Stühle zerschmettert werden, tut es Billigware aus dem Möbeldiscounter. Die Herausforderung besteht darin, die Vorstellungen der Regie so gut wie möglich umzusetzen. Geht nicht gibt’s nicht, sagt Müller. Er hatte schon so ziemlich alles auf der Bühne: beispielsweise ein Beachvolleyballfeld, was dazu führte, dass sich der Sand mit der Zeit überall im Haus verteilte „bis in die dritte Etage“. Und für Ibsens „Volksfeind“ musste ein Wasserbecken her. Die 18 Kubikmeter Wasser konnten trotz vieler Tricks nur auf etwa zwölf Grad erwärmt werden. Und so hielt man direkt neben der Bühne heiße Duschen und warme Bademäntel für die frierenden Schauspieler bereit. Auch der Fußboden gehört zum Bild. Ist er schräg, darf er dennoch nicht rutschig sein. Bei Szenen im Regen bekommen die Schauspieler extra rutschfeste Sohlen.

Klassisches Bühnenbild für die "Drei Schwestern"

Dagegen mutet das Bühnenbild für die „Drei Schwestern“ klassisch und fast harmlos an. Die Wand bekommt noch ein Dach und durch die Türöffnung räumliche Tiefe. Es könnte ein bürgerlicher Salon, ein Offizierskasino oder eine Bahnhofshalle sein, um 1900 und schon etwas verschlissen. Die Maler haben Wasserflecken auf die Fassade gemalt. Hier werden die Schwestern „Olga“, „Mascha“ und „Irina“ über ihre Pläne und Sehnsüchte sprechen. Davon, dass sie aus der öden russischen Provinz nach Moskau gehen wollen. Es wird nie passieren - der alte Bahnhof wird zur Wartehalle, zur Endstation.

Während des Bild-Aufbaus wird auch der Eiserne Vorhang einmal herunter gelassen. Diese Brandschutzwand muss im Notfall den Bühnenraum luftdicht abschließen. Auf dem Fußboden werden die Tischler noch eine Lücke schließen müssen, sagt Müller. So aufwändig wie das alles ist – Sicherheit geht vor. Jedes Bühnenbild muss von Bauamt und Feuerwehr abgenommen werden. Es ist noch nie etwas Schlimmes passiert, toi toi toi, sagt Müller, ganz Theatermann. Aber Scheinwerfer können sehr heiß werden. Und manchmal wird im Stück auch geraucht. Es ist alles in allem ein sehr besonderer Arbeitsplatz. Auch einer der wenigen, an dem unter schwebenden Lasten gearbeitet werden darf. „Vorsicht Zug“, heißt das Kommando, wenn irgendetwas vom Seilboden heruntergelassen wird. Um das Risiko zu minimieren, darf laut Versammlungsstättenverordnung hier nur hängen, was tagesaktuell gebraucht wird. Und so müssen die riesigen Bauten der „Drei Schwestern“ zum Sonntag erstmal wieder verschwinden, wenn „Der Besuch der alten Dame“ gespielt wird, bevor es in die Finalen Proben geht. 

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