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Wenn die Gefahr übergroß scheint. Die Ausstellung Demokratie  Jetzt oder nie! Vom Haus des Terrors zum Haus der Demokratie bringt die Wende von 1989/90 mit ungewöhnlichen Mitteln ganz nah.

©  Manfred Thomas

Von Dirk Becker: Wenn die Angst wieder spürbar wird

Die Ausstellung „Demokratie – Jetzt oder nie!“ in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“

Die Bedrohung wird spürbar, wenn man vom Flur kommend, den ersten Raum betritt. Da stehen sie. Geschützt durch Helm und Schutzschild. Bewaffnet mit einem Schlagstock. In den Gesichtern der jungen Volkspolizisten ist Unsicherheit zu erkennen. Doch wie sie dort, überlebensgroß, auf der bekannten Schwarzweißfotografie an der Wand in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“ hängen, lassen sie den Betrachter sich unendlich klein und hilflos fühlen. Und die Ohnmacht vor einer Staatsgewalt überkommt einen. So müssen sich die Demonstranten gefühlt haben, damals, am 7. Oktober 1989, als sie von der Brandenburger Straße kommend, in der Friedrich-Ebert-Straße auf die Wand von geharnischten Volkspolizisten stießen.

Das ist das Erstaunliche an der Ausstellung „Demokratie – Jetzt oder nie! Vom Haus des Terrors zum Haus der Demokratie“, die den dritten und abschließenden Teil der Dauerausstellung über die Geschichte der Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“ abschließt und die heute Abend eröffnet wird. Sie bringt einem auf nur wenig Raum ein Thema wieder nahe, dessen man längst überdrüssig war: Die Wende von 1989.

Die Auseinandersetzung zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls und der friedlichen Revolution in der DDR im vergangenen Jahr war allumfassend, langanhaltend und schon bald ermüdend. Und so war da die Frage am Dienstag, als im Rahmen einer Pressekonferenz eine Vorbesichtigung von „Demokratie – Jetzt oder nie!“ stattfand, was diese Ausstellung Neues zum vielbeschriebenen, vielbesprochenen und vielbebilderten Thema sagen kann. Neu ist in dieser Ausstellung, wie zu erwarten war, kaum etwas. Die hier gezeigten Fotografien sind von Ausstellungen und Buchveröffentlichungen schon aus dem vergangenen Jahr bekannt. Aber wie das Potsdam Museum und das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Zusammenarbeit mit der Potsdamer „freybeuter“ GbR die Geschichte der friedlichen Revolution in Potsdam in den Jahren 1989 und 90, der Auflösung des Staatssicherheitsdienste und somit die Entwicklung des Gebäudes in der Lindenstraße von einem „Haus des Terrors“ zu einem „Haus der Demokratie“ erzählen, ist neu, eigenwillig und holt die Geschehnisse aus der zeitlichen Distanz von 20 Jahren ganz dicht, gelegentlich sogar fast aufdringlich an den Betrachter heran.

Da sind die übergroßen Volkspolizisten, die sich einer Bewegung entgegen stellen, die nicht mehr aufzuhalten ist. Diese Bewegung haben die Ausstellungsmacher geschickt durch die vier Räume im Obergeschoss der Gedenkstätte fließen lassen. Vermauerte Türen wurden aufgebrochen und verbinden nun die kleinen Räume, die noch bis zum Herbst 1989 von der Staatssicherheit als Verhörräume genutzt wurden. Hat man die unentschlossene Reihe der Volkspolizisten überwunden, steht man plötzlich mitten in der Demonstration vom 4. November, an der über 30 000 teilnahmen und die Forderung „Demokratie – Jetzt oder nie!“, die der Ausstellung den Namen gab, aus tausenden Kehlen gerufen wurde. Es folgt im nächsten Raum der Mauerfall und dann die Übernahme des als „Lindenhotel“ bezeichnete Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit durch die Potsdamer Opposition im Wendeherbst 89. All das wird dominiert von wandgroßen Bildern, die den Betrachter mitten hineinziehen in das damalige Geschehen.

Dazwischen finden sich auf Aluminiumtafeln geklebte Bilder und Texte, die chronologisch die Entwicklung der Wendebewegung im damaligen Bezirk Potsdam nachzeichnen. Ob die Kommunalwahlen am 7. Mai, der Sternmarsch zur Kirche in Caputh am 15. Mai oder das erste Potsdamer Pfingstbergfest am 10. Juni 1989, die Bilder auf den Tafeln sind fragmentiert, zerschnitten und wieder zusammengesetzt wie ein Puzzle. Dadurch werden Sehgewohnheiten durchbrochen, die eigene Ausstellungserwartungshaltung durcheinander gebracht und so neue und dadurch auch vielseitigere Blicke auf die Geschehnisse in den Jahren 1989 und 90 möglich.

Auch wenn die Räume klein sind und das Gezeigte umfassend ist, wirkt „Demokratie – Jetzt oder nie!“ nie ermüdend. Dazu trägt auch die sachliche Distanz der Texte bei, die auf Übertreibungen und die üblichen Heiligengeschichten über die 89er Opposition verzichtet. Ein kleines Manko jedoch bleibt für Stefan Charné von der „freybeuter“ GbR. Um die Fotografien auf den Aluminiumplatten besser zur Geltung zu bringen, ihre Eindringlichkeit deutlich zu machen, bedürfe es einer Beleuchtung mit weißem Licht. Doch wegen des begrenzten Budgets standen nur Lampen aus dem Alten Rathaus mit gelbem Licht zur Verfügung. Stefan Charné geht davon aus, dass diese Lösung nur eine vorübergehende bleibt. Der Aussagekraft von „Demokratie – Jetzt oder nie! Vom Haus des Terrors zum Haus der Demokratie“ kann dieser kleine Makel aber nichts anhaben.

Die Ausstellung „Demokratie – Jetzt oder nie!“ wird heute, 18 Uhr, in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“ eröffnet

Dirk Becker

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