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Nora Abdel-Maksouds "Jeeps", Premiere am Hans Otto Theater, bitte einmal dcxen. Credit: Thomas M. Jauk

© Thomas M. Jauk

Wenn Reichtum per Los verteilt würde: Die Komödie „Jeeps“ im Hans Otto Theater umkreist das Thema Erben

Mit der Komödie von Nora Abdel-Maksoud läutet das Hans Otto Theater die Spielzeit in der Nebenspielstätte ein. Es geht um die Schneise, die zufällig verteilter Reichtum in die Gesellschaft reißt.

Den kleinen Glitzerschuh sieht man erst ganz zum Schluss. Lag er schon unter der Bank im Wartesaal des Jobcenters, als die Drehbühne zum ersten Mal in Bewegung geraten war? Das rotierende Bühnenbild von Ilka Meier zeigt drei Alltagsräume: Warteraum, Wohnzimmer, Büro. Statist Gernot Axel Birgit Griesbach zieht wie ein Lastenesel seine Runden, schiebt immer den Raum in Richtung Zuschauersaal, um den es gerade geht. Und der Schuh? Wird noch eine Rolle spielen.

Nach der Eröffnung im Großen Haus am Freitag war dies der Eröffnungsnachschlag des Hans Otto Theaters in der Nebenspielstätte Reithalle. Gezeigt wurde „Jeeps“ von Nora Abdel-Maksoud, die in Potsdam Schauspiel studiert hat und vor 15 Jahren am gleichen Ort als Miranda zu sehen war, in Shakespeares „Sturm“. Seitdem hat sie nicht nur am Ballhaus Naunynstraße, Gorki-Theater, in Halle und Münchner inszeniert, sondern auch einige sehr erfolgreiche Stücke geschrieben. „Jeeps“ ist Teil zwei einer Trilogie zum Thema Klasse.

Uraufgeführt wurde es 2021 in München, als Auftragswerk für die Kammerspiele. Aber auch nach Potsdam passt „Jeeps“ bestens. Gerade nach Potsdam. Dafür hätte es nicht mal die vielen Anspielungen (vom Kennzeichen bis zum „neuen Zeit für Brot in der Innenstadt“) gebraucht. Es geht um die Schneise, die zufällig verteilter Reichtum in die Gesellschaft reißt. Es geht ums Erben. In „Jeeps“ heißt es: „Die Eierstocklotterie“.

18 Premieren plant das Hans Otto Theater Potsdam in der aktuellen Spielzeit. Es bleiben noch 16.
18 Premieren plant das Hans Otto Theater Potsdam in der aktuellen Spielzeit. Es bleiben noch 16.

© Andreas Klaer

Statt nur den zu Stückbeginn referierten Status quo („Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm. Gleichzeitig werden 400 Milliarden Euro pro Jahr vererbt“) durch die Komödienmangel zu drehen, geht die Fiktion von „Jeeps“ einen Schritt weiter. Auf die Erbproblematik hat die Regierung (namentlich Lindner) mit radikalen Maßnahmen reagiert: Die deutsche Erbmasse wird neu verteilt. Per Los. Umzusetzen vom Personal in den Jobcentern.

Auftritt Gabor (Philipp Mauritz). Gabor ist, was ihn zum perfekten Beamten macht: gesichtsblind. „Er arbeitet im wahrsten Sinne des Wortes ohne Ansehen der Person“, sagt Armin (Jon-Kaare Koppe), der gerne Gabors Chef wäre. Beide sind Rädchen im Amtsgetriebe, Armin als der Menschelnde, Gabor als „der Unbestechliche“. Er ist auch der mit dem titelgebenden Jeep. Zwölf Jahre hat er darauf gespart, von allen belächelt.

Warum die Verteilungsdebatte nicht privatisieren?

Am offensivsten von Maude (Katja Zinsmeister) und Silke (Laura Maria Hänsel). Beide verschwestern sich mithilfe einer Waffe gegen „das Amt“, obwohl sie nicht viel gemeinsam haben. Die eine Hartz-IV-Empfängerin, die einen höheren Regelsatz einfordern will (acht Euro). Die andere eine „Enterbte“, deren Vater gestorben ist und die ihr „Los“ zurückverlangt: Es gehe um ein Fotoalbum, sagt sie. Nicht ganz, stellt sich heraus: auch zwei Eigentumswohnungen und ein Bootshaus gehören dazu. Als Maude das erfährt, klappt ihr die Kinnlade runter.

Philipp Mauritz, der zunächst am klischeehaftesten wirkt, hat hier eine große Stunde. Die zärtliche Zuneigung zu Ordner und Anspitzer nimmt man ihm ab, die ehrliche Liebe zum Geländewagen auch. Er ist es, der irgendwann der in die Enge getriebenen Erbin Silke auf ihren Einwurf, man könne doch diese Verteilungsdebatte nicht privatisieren, antwortet: Warum? Das ist eine der Fragen, die „Jeeps“ einem mitgibt.

Katja Zinsmeisters Hartz-IV-Empfängerin ist wohltuend widerborstig und autonom, und nicht nur wegen Wortfindungsstörungen („Warum, warum. Warum ist der gelbe, lange Apfel krumm?“) immer wieder für Lacher gut. Auch Jon-Kaare Koppe gibt Gabors scheinbar so humanem Kollegen wohldosierte Boshaftigkeiten mit: Hartz-IV-Empänger nennt der Sympath intern Opferwürste, seinen Job macht er für „die Möglichkeit, Ihren Antrag abzulehnen.“

Diese Balance aus Mitgefühl und mildem Ekel macht funktionierende Komödie aus. Silke, die Erbin, schert da etwas aus: in blauem Glitzerkleid, mit einem Startup für „Laptops in Lederhosen“ hätte sie ein paar mehr Sympathiepunkte gebraucht, um das Komödienkarussel im Gleichgewicht zu halten. Sympathie für die bayerische Gründerin, die Papas Geld braucht, um über die Runden zu kommen, ist aber weder im Text noch von Max Claessens Regie wirklich vorgesehen.

So bleibt „Jeeps“ eine Komödie, die trotz aller Aktualität und großartig stoischer Livemusik von Janni Struzyk an der Tuba etwas aus dem Takt geraten ist. Und hinten raus auch etwas überfrachtet: Zur Neuerung der Regierung gehört nämlich nicht nur das Losverfahren, sondern auch, dass arbeitssuchende Eltern nur noch ihre Kinder ins Jobcenter schicken dürfen. Aus Platzgründen. So kommt es zur Katastrophe, von der auf der Bühne am Ende nur er zeugt, der Glitzerschuh.

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