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Kultur: Wie der Alte Fritz Amerika rettete

Dramaturgie ist nicht alles: Musikfestspiele mit waghalsigen Thesen

Wenn sich bei einem Musikfestival alles der Dramaturgie unterordnet, kommt es vor, dass, wenn die Themen zur Neige gehen, das eine oder andere Detail zurechtgebogen wird. So muss denn bei den Musikfestspielen in der wunderschönen Orangerie Sanssouci der diesjährig beklatschte Alte Fritz diesmal herhalten als Wegbereiter der amerikanischen Revolution. Ausgerechnet der Absolutist par excellance als Geburtshelfer der transatlantischen Demokratie. Die kurvige Herleitung geht so: Als England in Friedrichs Siebenjährigem Krieg schwer beschäftigt, dezimiert und finanzschwach war, bekamen die antikolonialistischen Bürger an Amerikas Ostküste die heiligen Hummeln des Demos und schmissen den englischen Tee in den Atlantik, weil sie keine Lust hatten, weiterhin die englischen Kriegsschulden zu bezahlen.

Was will diese an den Haaren herbeigezogene Geschichte dem Publikum erklären? Nur, dass man auch mal Musik spielen will, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im noch jungen Amerika der Weißen erklang. Den musikalischen Bogen soll James Hewitts militärische Klaviersonate „Die Schlacht von Trenton“ schlagen, die mit bescheiden originellen Mitteln eine der vielen englischen Niederlagen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg beschreibt. Matthias Maute, Chef und Flötist im kanadischen Ensemble Caprice, hat das Sonätchen lustig arrangiert, aber man stirbt auch keinen Heldentod, wenn man es nicht kennt. Das gilt auch für die ebenfalls vorgetragene G-Dur-Sinfonie von Carl Stamitz. Das Flötenkonzert von „John Frederick“ Lampe aus der gleichen Ära wartet im langsamen Satz mit einem ulkigen Kuckucksruf auf. Das ist von geradezu berauschender Originalität.

Man nennt die Komponisten solcher Musik gerne Kleinmeister, weil sie angeblich nichts Großes hervorgebracht haben. Das ist immer ein bisschen gemein und auch immer ein bisschen wahr. Aufführungen ihrer Werke schaden nicht, aber hier sind sie nur Mittel zum Zweck einer überambitionierten Festivaldramaturgie, besonders dann, wenn das übergeordnete Thema nichts mehr hergibt.

Doppelt tragisch für mittelmäßige Musik wird es, wenn das engagierte Ensemble ebenfalls vor allem deswegen eingeladen ist, weil es zum Thema passt: in diesem Fall, weil es von der anderen Seite des Atlantiks kommt. Was Mautes Ensemble abliefert, ist nicht gerade die Erfüllung von Originalklangträumen. Dafür erwischen die historischen Oboen zu viele falsche Töne, und das Streichquintett bewahrt sich über den Abend hin eine derart unsaubere Intonation, dass uneinheitliche Agogik und folgerichtiges Klappern kaum ins Gewicht fallen. Da rettet auch der Kontrabassist nichts, wenn er in der Militärsonate betuliche Pirouetten um sein Instrument dreht. Einen holdseligen Trost gibt es dennoch. Shannon Mercer singt ihre Kleopatra-Arien. Wir lernen: Händel hörte man auch in Boston gern – mit einer Wärme, die Barockopern leider nicht immer geschenkt wird. Zwar kann ihre recht schwere Stimme den Hang zum eher dramatischen Fach späterer Epochen nicht verbergen, aber Mercers affektreiche Gestaltungskraft tröstet gerade in den Werken Johann Christoph Friedrich Bachs über viele Unzulänglichkeit ihres Begleitensembles hinweg. Man jubelt ihr gerechterweise zu. Christian Schmidt

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