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Kultur: „Zeit ist so alt und Liebe so kurz“

Poetenpack brachte literarisch-musikalisches Programm über Mascha Kaléko zur Premiere

Poetenpack brachte literarisch-musikalisches Programm über Mascha Kaléko zur Premiere Zu einer ganz erstaunliche Premiere lud das „Poetenpack“ ins T-Werk ein. Sophia Brickwell (Gesang) und Andreas Hueck (Sprache) erinnerten in einem 90-minütigem Programm der literarisch-musikalischen Art an die wenig bekannte deutsch-jüdische Poetin Mascha Kaléko (1907-1975). Ihre „Großstadtlyrik“ hatte besonders in den zwanziger Jahren in Berlin viel Erfolg, 1935, nach Erscheinen des zweiten Gedichtbandes „Das kleine Lesebuch für Große“, kam das Verbot. Flucht nach Übersee, doch anders als Broadway-Star Kurt Weill (1900-1950) wurde die in Chrzanów geborene Emigrantin im Business-Land USA nie heimisch. Sie übte zwar „mit goodwill fremde Sprache“, fand aber trotzdem kein Publikum. Auch Israel konnte sie nicht fesseln. Vereinsamt und vergessen, starb sie, deren Sehnsucht nach der geistigen Heimat sogar in die Träume einzog, im deutschsprachigen Zürich. Ihre in Blöcken einfühlsam rezitierten Gedichte, gemischt mit Weill-Vertonungen von Maxwell Anderson („Lost in the stars“), Langston Hughes („Lonely House“), oder dem ganz europäisch geformten „Klagelied der Seine“ (schönster Titel des Abends) von Maurice Magre, bildeten das Substrat des atmosphärisch dichten, stillen, aber nicht abgrundtraurigen Werkporträts „In meinen Träumen läutet es Sturm“. Schaukelstuhl, Clubtisch, eine Leiter und im Air ein blauer Ballon, als Referenz an den komponierenden Brecht-Kollegen vielleicht „Mond“ bedeutend, genügten Regisseur Wolfgang Heiderich zur Ausführung dieser ganz auf das Wort gestellten Reminiszenz an die geniale, von Ringelnatz bis Thomas Mann bewunderte Dichterin aus dem Galizischen. Die schwarzbetuchte Off-Bühne trug fast alles allein, den Geist der Lyrikerin, den Atem von Hueck, weniger die mit dünner Stimme und schwacher Modulation vorgetragenen Songs, welche Markus Zugehör am Klavier dafür gut begleitete. „Zeit ist so alt und Liebe so kurz“, heißt es zum Beispiel in Odgen Nash“s Liedtext „Speak low“. Leise sprechend, eindrucksvoll suchend, sprachlich sehr klar, trug Hueck Kalékos Verse vor. Nur gelegentlich hätte man sich etwas mehr Emotion gewünscht. Die Poetin stürmt mit ihren unspektakulären, alle „Moderne“ meidenden Verse, keine intellektuellen Himmel. Was ihrem Leben unmittelbar geschah - Liebe zuerst und immer wieder, der Schock über den frühverstorbenen Sohn, Emigration und Krieg, Berlin und die Trümmer im Nachkrieg („Ich dachte, wenn die Kriege aus sind, würde Frieden sein“) – all das macht sie in schlichten Reimen zum kunstvollen Gedicht. Sie reflektiert ihre „Großstadtliebe“, schickt einen „Gruß aus Davos“, freut sich, dass sie sich an die ihr begegnenden Wunder nie ganz gewöhne. Herrliche Naturbeobachtungen sind dabei. Im Alter treten elegische Töne hinzu. Ganz naiv fragt sie zu Allerseelen, ob die Toten im Grabe nicht dürsteten, frören? – eine Spitzenleistung der Interpretationskunst übrigens. Nein, in dieser Welt voller Elend und Tränen möchte sie „nicht Herrgott sein“. Von Freunden und Feinden umgeben, behielt sie sich vor, ihren „Epitaph“ selber zu schreiben. Er ist zum Schmunzeln. Kalékos Wortkunst wirkt sehr feminin, ganz elementar, sie ist schön. Wenn dergestalt „Stürmende Träume“ erwachsen, dann aus der inneren Stille. Diesen Geist lebt auch Poetenpacks unspektakuläres Programm: Ein Mann spricht die Gedichte einer Frau, eine Frau singt die Lieder eines Mannes. Von der Idee her passte das bestens zusammen. Gerold Paul

Gerold Paul

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