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Potsdam-Mittelmark: „Es menschelt mehr, als man denkt“

Boris Nannt, Chef der Bundeswehr in Beelitz, über Drill, Auslandseinsätze und die Zukunft der Truppe

In diesem Monat sind die letzten Wehrpflichtigen in die Kasernen eingerückt – auch in Beelitz. Wie geht es für die Bundeswehr weiter, nachdem sie de facto zur Berufsarmee geworden ist?

Schon in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Bundeswehr deutlich gewandelt: Wir haben uns stärker auf Auslandseinsätze ausgerichtet. Unser jetziger und künftiger Kernauftrag ist die bestmögliche Vorbereitung der Soldaten hierfür, das ist unsere Pflicht: Wir sind immer auf den nächsten Einsatz fokussiert und arbeiten darauf hin. Nachdem es künftig keine Wehrpflichtigen mehr geben wird, ist für uns das Thema Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchsförderung aber noch wichtiger geworden. Ich kann nur Leute gewinnen, wenn ich ihnen einen attraktiven Arbeitsplatz bieten kann – und das auch nach außen hin zeige.

Hartes Training, Drill und gefährliche Einsätze in Krisengebieten: Wie attraktiv ist da eine Laufbahn bei der Bundeswehr?

Natürlich ist der Dienst anspruchsvoll – physisch und psychisch. Das Logistikbataillon 172 war in den vergangenen vier Jahren drei Mal im Einsatz, der nächste ist für 2012 geplant. Es ist kein Job wie jeder andere: Man kann selten abschalten und hat eine große Verantwortung. Aber der Beruf bietet auch unheimlich viele Chancen und Facetten. Man kann eine Ausbildung machen oder studieren. Und wer bereit ist, sich einzubringen wird immer gefördert. Es ist auch nicht alles nur Drill – auch wenn der für den Einsatz essentiell ist. Mir selbst ist es zum Beispiel wichtig, dass ich mir in persönlichen Gesprächen mit den Soldaten ein Bild mache. Es menschelt mehr, als man denkt.

Das sah in der Beelitzer Kaserne auch schon mal anders aus: 1990 hatte es einen Aufstand der NVA-Soldaten gegen ihre Offiziere gegeben. Welche Lehren kann man heute daraus ziehen?

Dass man allein mit Befehl und Gehorsam gar nichts erreicht. Aus damaliger Sicht war der Aufstand nachvollziehbar: Die Soldaten wussten nicht, wie es für sie weitergeht – ob sie jetzt womöglich gegen die Bürger ihres eigenen Landes eingesetzt werden. Diese Ungewissheit der NVA-Soldaten könnte bei der Bundeswehr nicht aufkommen – allein schon durch das Prinzip der Inneren Führung. Man spricht mit den Soldaten und verdeutlicht somit, was gerade passiert.

Die damaligen Ereignisse haben Beelitz und seine Garnison zusammengeschweißt: Die Bürger brachten den Soldaten Essen vorbei und gaben ihnen Rückhalt. Wie sieht die Partnerschaft heute aus?

Die Verbindung ist nach wie vor eng, allein schon, weil 80 Prozent unserer 900 Soldaten in Berlin und Brandenburg leben – viele davon in Beelitz und dem engen Umland. Den Kameraden ist es wichtig, Anerkennung zu finden für das, was sie tun. Daher ist es auch so wichtig, dass Vertreter aus der Politik zu unseren Gelöbnissen oder anderen Anlässen vor Ort sind, um sich persönlich ein Bild zu machen. Mit der Stadt selbst wollen wir in Zukunft noch öfter etwas machen, zum Beispiel im sportlichen und kulturellen Bereich. Erste Gespräche mit dem Bürgermeister hat es dazu schon gegeben. Generell denke ich, dass die Arbeit der Bundeswehr von den Bürgern honoriert wird.

Aber Auslandseinsätze sind nicht unumstritten ...

Das ist die politische Dimension, die dazugehört und natürlich auch diskutiert werden muss. Dabei darf jedoch nicht untergehen, dass wir etwas bewirken. Ich war zum Beispiel 2001 das erste Mal im Kosovo eingesetzt. Pristina, wo der Konflikt zwischen Serben und Kosovo-Albanern damals eskaliert war, ist heute wieder eine fast normale südeuropäische Stadt – und das nach nur zehn Jahren.

Zahlreiche Bundeswehrstandorte in Brandenburg sind in den vergangenen Jahren geschlossen worden. In Beelitz aber wurden Gebäude saniert und zurzeit baut der Bund eine neue Mensa. Ist der Standort damit sicher?

Darüber sollte man nicht spekulieren. Ende dieses Monats werden dem Verteidigungsminister die neuen Strukturen vorgestellt, erst im Sommer werden die Standort-Entscheidungen getroffen. Man fragt sich schon, wie es weitergeht, aber das hemmt hier niemanden, ganz im Gegenteil. Der Weg, die Bundeswehr zu verschlanken und neu auszurichten, ist richtig, davon sind meine Soldaten voll und ganz überzeugt. Wir können für den Standort Beelitz werben, indem wir zeigen, dass man sich auf uns verlassen kann. Denn die gute Arbeit vor Ort und das positive Umfeld können wir durchaus für den Erhalt der Kaserne in die Waagschale werfen.

Seit zehn Jahren dürfen Frauen Dienst an der Waffe leisten. Was ist eigentlich aus der damaligen Diskussion geworden?

Die starken Vorbehalte, die viele Männer damals hatten, sind der Normalität gewichen. Im Nachhinein kann wohl jeder sagen, dass die Kameradinnen eine absolute Bereicherung sind. Sie haben klare Zielsetzungen, sind hoch motiviert und wirklich gleichermaßen leistungsstark. Wenn ein Soldat zu uns versetzt wird, stellt sich nicht die Frage ob Mann oder Frau, sondern ob er oder sie sich einbringen kann und leistungsfähig ist. Im Moment sind sieben Prozent unserer Soldaten weiblich, das generelle Ziel sind 15 Prozent. Dass das noch nicht erreicht worden ist, liegt nur an der kurzen Zeit. Es werden sicher bald mehr.

Ende Juni haben die letzten Wehrpflichtigen ihre Dienstzeit absolviert. Müssen die noch richtig mitmachen?

Die wollen von sich aus. Die 50 Rekruten sind unheimlich engagiert, das hätte ich so vorher nicht erwartet. Dabei haben die meisten gar nicht vor, bei der Bundeswehr zu bleiben. Aber ich habe ihnen erklärt, dass die sechs Monate eine Chance für sie sind, etwas für sich selbst mitzunehmen. Und das haben sie verstanden und zu hundert Prozent beherzigt.

Die Bundeswehr als „Schule der Nation“ hat künftig ausgedient. Was wird der Gesellschaft fehlen?

Alles ist individueller geworden, die Menschen sind nicht mehr gewohnt, sich für andere einzusetzen. Die Kameradschaft bei der Bundeswehr war schon immer ein Gegenstück dazu. Heute im Einsatz zeigt sich ja noch mehr als früher, wie wichtig der Nebenmann ist. Der Dienst an der Gesellschaft ist unheimlich wichtig und sollte auch künftig Beachtung finden – das geht natürlich auch abseits der Bundeswehr: Sei es in einem freiwilligen sozialen Jahr oder bei der Feuerwehr.

Das Interview führte Thomas Lähns

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