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KulTOUR: Kabarett im Kirchenraum

Was Michael Sens berührt, wird zu Komik

KulTOURWas Michael Sens berührt, wird zu Komik Michendorf - Keiner kennt ihn, obwohl er aus Berlin kommt. Michael Sens gastierte am Sonntag anlässlich der Langen Nacht der Kirchen in der Evangelischen Gemeinde Michendorf, deren fachgewerktes Gotteshaus unter uraltem Ahorn und Eiche viel Ruhe ausstrahlt. Im Schattengarten, unter riesenhaften Koniferen, steht die Pfingstrose vor der Blüte, Rhododendron bricht auf, eine weiße Katze mit schwarzem Schwanz kontrolliert das Gelände: Gutes, doch auch unbekanntes Ambiente für den Mann im roten Anzug („Schwuchtelkutte“), Sturmtolle oben-auf. Sein Programm „SENSibel“ versteht sich als „Streifzug durch die Musikgeschichte“, er selbst beharrt darauf, Komiker zu sein, auch wenn man ihm das amtlicherseits nie glaubt. Sens ist in Sachen Humor, was Krösus für die Geldwirtschaft, dank seines noch urwüchsig erscheinenden Talents verwandelt sich, was er berührt, in Komik der meist gehobenen Art. Würde der Multiprofi, ausgebildet an Klavier und Violine, stimmgeschult als prachtvoller Bassbariton, sprachgewandt und absolut bühnensicher, politische Satire machen, wehe seinen Opfern. Aber man kennt ihn ja nicht, denn er kommt aus Berlin. Und so hauchte er, nachdem zu Beginn der weltschnellste Ragtime am Piano verklang, den ersten Offenbarungseid wie ein röhrender Hirsch ins Mikro: „Ich bin 42!“ Kein Problem, Mann und Maus im Nu auf seine Seite zu ziehen. Er erzählte mehr oder weniger sensibel Witze, wie keiner es kann. War einer „nur für Erwachsene“, so hielt er den Knaben der ersten Reihe an, wegzuschauen und sich die Ohren zu stopfen. Für Zuspätkommer gab es eine Zusammenfassung des Bisherigen im Eilmarsch. Vielleicht ließen ihn seine Eltern zuviel „Musik“ studieren, denn einige Spots schienen wie aus Rache gemacht, etwa beim toll kommentierten Fußball-Report, worin er alle Komponisten gegeneinander antreten ließ, welche er irgendwann einmal proben musste. Sonst streifte er durch die seichten Gewässer der Musical-Geschichte aus Ost- und Westside-Story, hielt das zahlreich erschienene Publikum an, per Gestik die Titel zu raten, übersetzte die anspruchslosen Texte, meinte gar mit Arglist, „Starlet-Express“ beruhe auf einer Rede von Hitler, da war es im Kirchraum recht still. Sens parodierte Schuberts Jugendwerk „Winterreise“, sang im Stil von Fischer-Dieskau daraus einen Part, zitierte Wagner, gab brillante Playbacks, sogar eine Verkleidung. Nach der Pause, da man über den Berliner rätselte, folgte prompt die andere Offenbarung: „Ich bin aus“m Osten!“, wo es ja nur zwei Berufe gab, Maurer und Mauerschützen, und selbst der Spielplatz stacheldrahtumzäunt gewesen – „zum Glück hatte ich einen Passierschein“. Das kam natürlich an. Sonst blieb die Politik weitgehend außen vor. Alles Spiel, alles Humor, bis hinein in den brausenden Schluss-Applaus: „Ach, ich könnte Ihnen stundenlang zuhören!“ Zugaben viele, etwa das sentimentale Lied über einen, der auf Schnurrkaters Wegen wandelt. Die Pointe ist verblüffend: „Ich liebe mich, ich habe mir ja so viel zu verdanken“, toll. Leider gab es für den genialen Solisten weder Begrüßungsworte noch Blumen zum Dank, trotz des blühenden Gartens. Vielleicht beim nächsten Mal. Im Anschluss wurde der Spielfilm „Erbsen auf halb 6“ gezeigt.

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