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Potsdam-Mittelmark: Kopf hoch, Mädel

Wlada Schüler wurde Dritte bei der Miss Germany Wahl 2006 – mehr wollte sie nicht erreichen

Teltow - Für seine Tochter Wlada will Rolf Schüler nur das Beste. Natürlich. Und so saß Schüler am 4. Februar im großen Saal des Europa-Parks in Rust bei Freiburg und knetete aufgeregt seine Hände. Vorn auf der Bühne stand die 17-jährige Wlada, eine von elf jungen Frauen, die es bis in die letzte Runde der Wahl für die Miss Germany 2006 geschafft hatte. Gleich sollten die drei Siegerinnen benannt werden. Schüler saß auf seinem Stuhl und knetete und knetete. Kurz nach 20 Uhr hatten an diesem Samstag die ersten Frauen den Laufsteg betreten. Jetzt war es 23.15 Uhr. Die Minuten dehnten sich und Schüler flüsterte unablässig in sich hinein: Bloß nicht den ersten Platz für Wlada und, bitte, auch nicht den zweiten Platz.

Entschuldigung Herr Schüler, wir haben Sie jetzt richtig verstanden? Sie wünschten Ihrer Tochter nicht den Sieg?

Rolf Schüler sagt „Nein“, und das mit einer Bestimmtheit, die schon an Selbstverständlichkeit grenzt. „Wenn ich ehrlich bin, schon Wladas Sieg bei der Miss Brandenburg Wahl am 14. Januar war uns nicht recht“, ergänzt er. Und damit die Verwirrung perfekt ist, sagt Tochter Wlada: „Wir haben uns für die Miss Germany Wahl den dritten Platz gewünscht. Und dass ich es auch noch geschafft habe, ist der größte Erfolg überhaupt.“

Es geht um Schönheit bei diesen Misswahlen. Natürlich. In dieser Glamourwelt der Abendkleider, Stöckelschuhe, Bademoden und Makellosigkeit. Perfekte Frisuren, perfektes Lächeln, perfekte Maße – 90-60-90. Es geht um den Wunsch nach Antwort auf die märchenhafte Frage: „Wer ist die Schönste im ganzen Land“. Es ist eine etwas abseitige Welt, in der die schönen Frauen durch das Blitzlichtgewitter stolzieren. Von vielen abschätzig beäugt und mitleidig belächelt. Eine Fleischbeschau, mehr nicht. Und die Kandidatinnen, na ja, viel Schein aber kaum Sein. Was heißen soll: Glänzende Fassade aber kaum Grips im hübschen Kopf. Aber vor allem geht es hier um Siege. Und wenn dann erzählt wird, dass der dritte Platz genau der gewesen sei, den sich alle gewünscht hätten, klingt das aufgesetzt. Nach dem Motto: Hinter der Bühne Zickenterror total und nach außen hin die Wir-haben-uns-alle-lieb-Attitüde.

Wlada Schülers Blick bleibt fragend. Sie kennt diese Geschichten und Klischees. Aber was, bitte schön, hat das mit ihr zu tun. Sie sitzt an dem großen Tisch im Haus ihrer Eltern in der Teltower Robert-Koch-Straße. Ihr langes blondes Haar sitzt perfekt, das dezente Make-up ebenfalls. Wenn sie lächelt, dann perfekt. Selbst wenn sie ihren Kopf leicht neigt, wirkt das irgendwie perfekt. Je länger man sie betrachtet, um so unmöglicher erscheint es einen, sie anders als schön, perfekt und makellos zu nennen. Es ist nicht wirklich leicht ein solches Schönheitsideal zu beschreiben.

Das Gesicht ist das wichtigste bei einer Miss-Wahl. „Die meiste Zeit schauen sie dir ins Gesicht“, sagt Wlada. Darum lautet die Maxime: Offener Blick, stolzes Lächeln und Kinn hoch. Für die Miss-Germany-Wahl hat Wlada Schüler das alles zwei Wochen auf Gran Canaria geübt. Im so genannten „Missen Camp“ lernten 22 regionale Schönheitsköniginnen das Laufsteg-Abc. Gehen mit kurzen Schritten, richtiges Stehen in hochhackigen Schuhen, das bis zu 30 Minuten dauern kann, Drehungen, Foto-Shootings und anderes mehr. Stundenlang wurden die „Missen“ getriezt, damit am 4. Februar, dem Tag der Entscheidung, auch alles perfekt laufen würde. Anstrengend fand Wlada Schüler das fast nie. Lange Tage ist sie aus der Schule gewohnt.

Wlada besucht die 11. Klasse an der Internationalen Schule in Kleinmachnow. „Eigentlich sehen wir unsere Tochter nie vor 20 Uhr“, sagt Schüler. Die Schule hat ein straffes Programm. Neben dem regulären Unterricht werden von den Schülern auch außerschulische Aktivitäten verlangt. Und so folgen auf Mathe, Deutsch und Bio am Nachmittag Theater, Musical und Basketball. Daneben gibt es immer wieder Projekte, in denen sich die Schüler mit Politik und internationalen Themen beschäftigen. Fast überall ist Wlada mit dabei. Und dann sind da noch die Hausaufgaben. Leistungsdruck und Zielstrebigkeit prägen ihre Leben. Und was ihre Zukunft betrifft, soll sich daran auch nichts ändern.

Im kommenden Jahr will Wlada Schüler Abitur machen. So gut wie irgend nur möglich. Dann will sie, die neben Deutsch auch noch Russisch, Englisch und Französisch spricht, Wirtschaftsrecht studieren, am liebsten in den USA. Und dann folgt die Karriere in einem renommierten Unternehmen. Die ketzerische Frage, was denn nun wäre, wenn sie sich schwer verlieben und ihren Lebenssinn allein in Familie und Kindern finden würde, weist sie rigoros zurück. Eher werden doch noch grüne Männchen auf dem Mars entdeckt. Wlada Schüler ist gerade 17 Jahre alt und was ihre Zukunft betrifft, so scheint sie sich ihr so übersichtlich und vorhersehbar zu präsentieren, wie der Laufsteg bei einer Misswahl.

Ihr Blick ist offen, neugierig und selbstbewusst. Vor vier Jahren war das noch anders. Damals, auf der Schule in Großbeeren, nannten andere Mädchen sie „dick“ und „hässlich“. Sie passte einfach nicht in deren Clique, wollte es auch nicht, da machten sie ihr die Hölle heiß. Wlada litt. Es kam der Punkt, da glaubte sie den anderen. Ihre Mutter Oksana, die 1990 mit der zweijährigen Wlada von Moskau nach Deutschland kam, redete auf ihre Tochter ein. Kopf hoch, Mädel! Wlada wechselte an die Internationale Schule, die Familie zog nach Teltow. Dann hörte ihre Mutter im Radio von einer Misswahl in Berlin, wo noch Mädchen gesucht wurden. Sie meldete Wlada an und die gewann den 2. Platz. Danach wurde Wlada von den Veranstaltern angerufen und eingeladen, sich mit anderen Schönheiten zu messen.

Rolf Schüler hat die Ausbeute auf den Tisch gelegt. Mehrere breite Schärpen in Schwarz-Rot-Gold: „Miss Oder-Spree 2004“, „Miss Havelland 2005“, „Miss Strausberg 2005“, „Miss Brandenburg 2006“. Rolf Schüler hält sie fast zärtlich in seinen Händen. Er ist immer mit dabei, wenn Wlada über den Laufsteg geht. Ein mächtig stolzer Vater. Selbst wenn er relativiert und sagt, dass Mädchen es mögen, sich zu schmücken und zu zeigen und er das nur ein wenig unterstütze. In seiner Freizeit hat er ein Kleid für die Misswahl genäht, das beide zusammen entworfen haben. Rolf Schüler weiß, dass immer ein paar „Halunken“ im Publikum sind, für die eine Misswahl nur Fleischbeschau ist. Er weiß aber auch, dass seine Tochter hier Selbstbewusstsein, Sicherheit und Auftreten gelernt hat und das dies Dinge sind, die ihr nur nutzen können.

„Als Wlada Miss Brandenburg wurde und sie für die Miss-Germany-Wahl zwei Wochen nach Gran Canaria musste, kamen wir mächtig ins Schwitzen“, sagt Schüler. Die Schule gab ihr zum Glück frei. Doch mehr Zugeständnisse waren nicht drin. Wäre Wlada Miss Germany geworden, hätte sie wegen der Verpflichtungen und Termine die Schule ein Jahr unterbrechen müssen. Als Zweitplatzierte müsste sie immer bereit stehen, um die Erste im Notfall zu vertreten. „Darum haben wir uns höchstens den dritten Platz gewünscht“, erklärt Schüler und sein Blick sagt, dass diese Logik ganz einfach zu verstehen sein müsste.

Der dritte Platz ist für Wlada Schüler die bestmögliche Balance zwischen größtmöglichem Erfolg bei der Miss Germany Wahl und ihrem Anspruch, die Schule nicht vernachlässigen zu müssen. Manchmal ist es der größere Gewinn, wenn man nicht ganz oben auf dem Siegerpodest steht.

Nach gut zwei Stunden, Wlada posiert gerade für den Fotografen, kommt das Gespräch noch einmal auf ihre Zukunft. Dass sie vielleicht schon nächstes Jahr nach Amerika gehen könnte, schmerzt Rolf Schüler schon. Aber wenn sie es wirklich will. Und für den Fall, dass doch noch alles anders kommen sollte, Wlada ihre Pläne, warum auch immer, komplett über den Haufen wirft, wird Rolf Schüler zwar Bedenken haben. Aber wenn sie es wirklich will, wird er wieder hinter ihr stehen. Denn für seine Tochter will Rolf Schüler nur das Beste.

Dirk Becker

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