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Potsdam-Mittelmark: Landarzt verzweifelt gesucht

Gemeinde Temnitztal lockt mit Haus und Hof / 147 Praxen in Brandenburg stehen leer

Gemeinde Temnitztal lockt mit Haus und Hof / 147 Praxen in Brandenburg stehen leer Von Jule Scherer Ein eigenes Haus. Mit einer komplett ausgestatteten Praxis im Erdgeschoss und einer großen Wohnung im ersten Stock. Geschenkt. Einzugsbereit ab Juli dieses Jahres. Die Gemeinde Temnitztal in der Ostprignitz hat sich etwas einfallen lassen, um einen Arzt in die Kommune zu locken. Seit einem Jahr wird dort nach einem Nachfolger für den Landarzt gesucht. Der ist nun 66 Jahre alt und möchte nach 30 Jahren Arbeit in der Gemeinde in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Trotz Stellenanzeigen und Gesprächen mit Ärzteverbänden - es war bislang kein Mediziner zu finden, der in die idyllische Ortschaft zwischen Neuruppin und Neustadt an der Dosse kommen wollte. „Wir brauchen in der Gemeinde einfach einen Arzt“, erklärt Bürgermeister Thomas Voigt die ungewöhnliche Aktion. „Wenn was passiert, kann er in fünf Minuten vor Ort sein.“ Bei Herzinfarkten oder Thrombosen wäre es für die Patienten vielleicht schon zu spät, bis ein Arzt aus dem knapp 20 Kilometer entfernten Neuruppin käme. Der Hausarzt ist -gerade auf dem Land - der Ansprechpartner Nummer Eins bei allen kleinen und großen Krankheiten. „Und dafür sind wir bereit, einiges zu bieten“, betont Voigt. Mit dem Notfallkoffer auf dem Beifahrersitz bei Nacht und Nebel, auch am Wochenende und an Feiertagen, zu Hausbesuchen zu fahren, ist nicht jedermans Sache. So ist Temnitztal bei weitem kein Einzelfall. 147 Praxen in Brandenburg stehen leer. In etwa zwei Dritteln der Kreise gibt es zu wenig Mediziner. Für die kommenden Jahre sehe es düster aus, sagt Ralf Herre, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Prognosen zufolge geht in den nächsten drei bis fünf Jahren fast jeder dritte Hausarzt im Land in Rente. Doch die Arbeitsbelastung eines niedergelassenen Arztes ist hoch, die Verdienstmöglichkeiten sind schlecht. Nach Angaben der KV steht den Brandenburger Ärzten ein um 19 Prozent geringeres Budget pro Patient für die Versorgung zu als den Ärzten im bundesweiten Durchschnitt. Zugleich hätten sie im Schnitt 20 bis 30 Prozent mehr Patienten. Um der medizinischen Unterversorgung entgegenzuwirken, hat die KV im Herbst 2003 ein Sicherstellungsstatut beschlossen. Kommunen sollen demnach versuchen, den Ärzten die Entscheidung für die Arbeit auf dem Land schmackhaft zu machen. Man könne aber keinesfalls erwarten, dass nun alle Kommunen ihren neuen Ärzten Häuser schenken, betont Herre. Aber vielleicht könnten die Amtsräte „schnuckelige Angebote“ wie günstige Miet- oder Kaufbedingungen offerieren. Als Notlösung überlegt die KV, selbst Praxen zu übernehmen und dort Ärzte anzustellen oder den Medizinern Umsatzgarantien als Anschubfinanzierung zu geben. Auch an der Politik ist diese Entwicklung nicht vorbeigegangen. Im Rahmen der Gesundheitsreform habe Brandenburg bereits eine bessere Bezahlung der Ärzte in Ostdeutschland, Zuschläge für Ärzte in unterversorgten Gebieten, die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Leistungen und die Sicherung der wichtigen Gesundheitszentren – früher Poliklinik genannt – in Ostdeutschland durchgesetzt, betont Gesundheitsminister Günter Baaske (SPD). In letzter Konsequenz plädiert Baaske dafür, dass arbeitslose Berliner Ärzte – natürlich unter Beachtung der Zumutbarkeit - Jobs mit Festanstellung in Brandenburg annehmen müssen, die ihnen angeboten werden.

Jule Scherer

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