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Potsdam-Mittelmark: Laute Sägen und stiller Protest

Rodungsarbeiten für Ortsumgehung Michendorf wurden unter Polizeischutz fortgesetzt / Zwei Baumkletterer waren schneller als die Polizei

Rodungsarbeiten für Ortsumgehung Michendorf wurden unter Polizeischutz fortgesetzt / Zwei Baumkletterer waren schneller als die Polizei Von Henry Klix Michendorf. Zeitweise bebt der Boden im Minutentakt. Eine Kiefer nach der anderen neigt ihre dürre Krone zum Boden. Beim Streifen benachbarter Stämme scheint der ganze Wald zu zittern. Die Schneise, die in den nächsten Wochen freigeschlagen werden soll, ist markiert: Mit giftgrünem Lack wurden Bäume rechts und links der Strecke am Stamm ringförmig gekennzeichnet. In diesen Bereich trauen sich nur noch Forstarbeiter. Ein massives Polizeiaufgebot und weiträumige Absperrungen sorgen dafür, dass keiner der Schaulustigen zu dicht kommt. Auch der 70-jährige Heinz Wolter, der auf der anderen Seite der Bahn ein Wochenendgrundstück auf der Trasse hat, muss tatenlos zusehen, wie das Verhängnis näher rückt. Mit ihm Gerd Sommerlatte und Wolfgang Kroll, die als Ex-Bürgermeister von Wilhelmshorst und Langerwisch – wie Wolter – Klagen gegen das Vorhaben in die Wege geleitet hatten. Das Rascheln des Unterholzes, als sich die Stämme im Fall ihren Weg bahnen, kommt selbst hinter den Absperrungen zeitweise aus beängstigender Nähe. Der Bau der Ortsumgehung Michendorf ist an diesem Mittwoch nicht mehr aufzuhalten. Am Dienstagabend hatte das Verkehrsministerium mitgeteilt, dass die Arbeiten „kurzfristig“ wieder aufgenommen werden. Um 18.08 Uhr kam die Mitteilung durchs Fax. Die Polizei hatte das Ministerium gebeten, die Information so lange wie möglich zurück zu halten – man wollte keine vorbereiteten Protestaktionen. Dass es dennoch welche gibt, war absehbar. Bei den ersten Rodungen im Februar hatten sich Leute an die Bäume gekettet und ihre Hunde durch den Wald geschickt. Nach mehrmonatiger Unterbrechung und einer Niederlage im Eilverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht begann gestern die Fortsetzung der Rodungen. Bis zum März soll ein ein Kilometer langer, nordöstlicher Straßenabschnitt fertig sein. Für die Fällarbeiten bat die Michendorfer Verwaltung die Polizei um „Vollzugshilfe“. Bis zum Ende der Fällungen – spätestens am 14. Dezember – wird es Tag und Nacht Streifen geben. Das Baufeld zwischen B2 und Bahnstrecke wird Tag für Tag abgeriegelt - gestern durch ein Aufgebot von über 30 Polizei-Einsatzkräften. Kastenwagen stehen an den Einfahrten von Waldwegen und patroullieren entlang der B2. Rotweißes Absperrband blockiert selbst jenen den Weg, die hier täglich ihren Hund Gassi führen. Per Funk verständigt man sich über jeden Passanten, der – wissentlich oder nicht – doch noch durch das enge Netz Uniformierter schlüpft. Nicht jeder kleine Waldweg lässt sich überblicken. Gegen 13.45 Uhr zum Beispiel sind es Schüler des Michendorfer Gymnasiums, die für Verwirrung sorgen, als sie nach Schulschluss mit dem Fahrrad die Abkürzung durch den Wald nach Wilhelmshorst nehmen. Eine Truppe von sieben Demonstranten hatte schon gegen 10 Uhr vor einer der rotweißen Absperrungen ein Transparent entrollt: „Ortsumgehung Michendorf – Verkehr nicht einfach auf andere abwälzen“. Störungen für die Waldarbeiter gibt es dadurch nicht, die Polizei hat „die Lage im Griff“ und die Demonstranten – Anwohner und Naturschützer – sind nicht auf Konfrontation aus. Friedlich verlassen sie nach einer Weile das Kampffeld. Nur Frieder Monzer und Helmut Schroedter haben es geschafft, vor der Polizei da zu sein: Schon gegen 8.30 Uhr waren sie auf zwei Kiefern geklettert und können nun aus etwa 10 Metern Höhe das schaurige Treiben beobachten. Von einer kleinen Schar Bereitschaftspolizisten, die unten warten, wird ihnen Gesellschaft geleistet. Der Presse wird durch den Einsatzleiter, Polizeirat Mathias Tänzer, der Zutritt verweigert. Als es über das Bauministerium dann gegen 14 Uhr doch noch zu einer Genehmigung für ein Vor-Ort-Gespräch kommt, verlassen Monzer und Schroedter den Baum, rot im Gesicht vor Erschöpfung und mit bis unter die Fingernägel schwarzen Händen. Polizeirat Tänzer spricht ihnen bis zum 14. Dezember einen Platzverweis aus. Sitzgurt und Bandschlaufe, mit der sie den Aufstieg schon zuvor einige Male trainiert hatten, werden beschlagnahmt. Beim nächsten Mal droht Tänzer mit Gewahrsam. Da der „Klettereinsatz“ bislang zu keinen Behinderungen der Fällungen geführt hat, drohen den Beiden wohl keine zivilrechtlichen Konsequenzen – erst in drei bis vier Tagen wäre es mit dem Motorsägeneinsatz eng geworden. „Klar, dass wir hier nicht viel verhindern können – aber ein Signal von uns sollte es schon geben“, sagt Monzer. Geldverschwendung sei der Bau dieser Umgehung, wo doch jede zusätzliche Straße zu einer Erhöhung des Verkehrsaufkommens führe. Unter SPD-Verkehrspolitik habe er sich was anderes vorgestellt. Ob es weitere Kletteraktionen geben wird, wissen die beiden noch nicht – beziehungsweise wollen es im Beisein von etwa zehn sie begleitenden Uniformierten nicht unbedingt verlautbaren. Mancher Protest fand gestern auch vom Schreibtisch aus statt: Als „Unverhältnismäßig“ bezeichnete gestern die verkehrspolitische Sprecherin der PDS-Landtagsfraktion, Anita Tack, den Polizeieinsatz. Den Rechtsstaat vor Demonstranten schützen zu wollen, sei „völlig überzogen und realitätsfern“. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein fiel ihren Genossen in der Region, die die Straße zu verantworten haben, einmal mehr mit einer Pressemitteilung in den Rücken: Anstatt zunächst ein abgestimmtes Verkehrskonzept in Potsdam und Potsdam-Mittelmark zu entwickeln, würden unumkehrbare Tatsachen geschaffen. Andree Halpap, frisch gebackener Gemeindevertreter der Michendorfer Bündnisgrünen, erklärte: „Es kann nicht hingenommen werden, dass mangelnde Kommunikationsfähigkeit von Behörden durch Polizeigewalt ausgeglichen werden soll!“ Bis jetzt war der Protest eher eine theoretische Größe – 2300 Einwendungen gab es im Planfeststellungsverfahren. Jetzt scheint es, als wenn der Frust sich in Demos und Baustellen-Aktionen Bahn bricht. Die nächste steht schon fest: Morgen um 15 Uhr will sich die Protestgemeinde vor dem Potsdamer Landtag zu Wort melden. Nur einer freute sich gestern dann doch noch über die Kettensägen: Mit großer Freude nehme man den Baubeginn zur Kenntnis, meinte die „Initiative pro Umgehungsstraße Michendorf“ Bummi. Und: „Dies ist ein wichtiger Tag für die Zukunft von Michendorf.“ Das zumindest scheint auf alle Beteiligten zuzutreffen.

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