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Potsdam-Mittelmark: Mit dem Nachtwächter über die Insel

Geschichte erleben: Ein neues Angebot der Werderaner Stadtführer

Geschichte erleben: Ein neues Angebot der Werderaner Stadtführer Werder - „Das ist schon eine kleine Sensation, den Nachtwächter durch die historische Altstadt von Werder zu begleiten“, freute sich eine Besucherin aus Zehlendorf am Pfingstsonnabend, als gerade die Kirchenglocken „Zum Heiligen Geist“ die neunte Abendstunde verkündeten. Der Regen prasselte unaufhörlich auf die Schirme der neun Unerschütterlichen, die sich um Stadtführerin Heidemarie Garbe an der Inselbrücke scharten. Erstmals war sie in die Garderobe eines Nachtwächters aus dem 19. Jahrhundert geschlüpft, um die Gäste im Dunkeln über die Insel und in längst vergangene Zeiten zu führen. Eigentlich hatte sie damit gegen die Verordnung von 1833 verstoßen. Die legte fest, dass nur unbescholtene und der Obrigkeit gefügige Männer den Dienst ausführen durften. Sie hatten stets nüchtern, also nicht der Trunksucht verfallen zu sein. Doch für diesen Verstoß hatte die Nachtwächterin eine Erklärung parat: „Mein Alter liegt im Bett mit Angina und icke muss dafür raus.“ Dann drehte sie die Knarre und verkündete, dass die Glocke neun Uhr anschlug. Das musste genügen, denn das Horn dufte nur bei Feueralarm ertönen. Von der Nachtwächterin erfuhren die Gäste, dass „Stadt Wien“ am Markt einst das „erste Haus am Platze“ war und vis a vis die Petzower von Kähnes im so genannten Lendelhaus eine „Außenstelle“ unterhielten, wo sie steuerfrei Schnaps brennen konnten. Ein kleineres in die Zeile eingequetschtes Haus beherbergte um 1600 das Postamt, in dem der Bürgermeister die Briefe und Karten sortierte und an die Boten weiterreichte mit Hinweise, wo die Adressanten Anni, Fritze oder Gustav wohnen, denn sie konnten weder lesen noch schreiben. „Zu den Pflichten des Nachtwächters gehörte es auch, die fünf Brunnen, die es einst auf der Insel gab, zu überprüfen“, erläuterte Heidemarie Garbe auf dem Markt. Im Haus mit dem schwarzen Adler befand sich ab 1729 die erste Apotheke mit Alkoholausschank, weil eben der „Geist“ viele Wehwehchen heilte. Fast daneben das heutige „Hotel zur Insel“. Als „Haus Gloth“ wurde es einst mit seiner gläsernen und von unten beleuchteten Tanzfläche bekannt. Gleich gegenüber das „Galerie-Café“. Es ist das erste massive Haus des einstigen Bürgermeisters Schönemann. Vorher gab es auf der Insel nur Fachwerkhäuser. Die Häuser der Fischerstraße machen die Wandlung der Bürger vom Fischer zum Obstzüchter deutlich. „Die größeren Häuser haben einen Keller, um das Obst und Gemüse zu lagern“, erklärte die Nachtwächterin. „Und da hinten soll es gewesen sein“, zeigte sie zur Lindenstraße, „als Friedrich Wilhelm I. mit seiner Kutsche im Morast stecken blieb. Es regnete bestimmt genauso wie heute.“ Dieser Begebenheit verdankt Werder die Order zur Straßenbefestigung. In der Michaelisstraße wurde an die Legende um Schuster Michel erinnert. Er wurde gescholten, weil er sich von einem Hochzeitsschmaus etwas zu essen holen wollte, dann verhungerte er in seiner Werkstatt. Traurige Werdersche gaben der Straße seinen Namen und bereiteten ihm ein großes Begräbnis. Vor dem „Colonial-Café“ erzählte die Nachtwächterin von den historischen verschnörkelten Holzregalen, die diese Lokalität wie auch das „Michaelis-Café“ schmücken. Mutter Hofer übrigens, die frühere Wirtin des „Colonial“, hatte einen besonderen Stammgast: Einem Dackel kredenzte sie eine echte Berliner Molle. Heidemarie Garbe erzählte auch vom „eigentümlichen Schlag“ der Werderaner, wie ihn auch Fontane beschrieb. „Kein Fremder durfte z. B. hinter Zäunen und Mauern sehen, was der Obstzüchter in die Tiene oder Kiepe packte, nicht einmal, wie er die Brühe für die Schädlingsbekämpfung ansetzte.“ Ein Aufhorchen in der Mühlenstraße: „Hier soll sich einst auch das Sündenbabel von Werder gewesen sein. „Die Werderschen hielten sich an die Ordnung, um 10 Uhr abends zu Hause zu sein. Aber die Berliner zechten hier die ganze Nacht hindurch“, deutete die Nachtwächterin an. Auch die Runde mit dem Nachtwächter ging zu Ende, als „Heilig Geist“ zur zehnten Stunde läutete. Die Zehlendorfer Gäste der spannenden Tour hatten bei all den Informationen und Anekdoten den strömenden Regen fast vergessen. Wolfgang Post

Wolfgang Pos

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