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Potsdam-Mittelmark: Morgenstern zurück in Werder

Eine kleine Schau auf der Bismarckhöhe erinnert daran, dass hier die Galgenlieder entstanden sind

Werder (Havel) - Es war ein Kreis acht junger Männer, der sich in den Sommern der Jahre 1895 und 1896 auf dem Galgenberg in Werder (Havel) traf. Sanduhr, Arme-Sünder-Strang und Henkersbeil waren die Requisiten, die bei den Galgenbrüdern aufgebaut waren. Todesurteile wurden gesprochen und symbolhaft ausgeführt. Schlag Zwölf erwachten die Gemeinschaft aus dem Todesschlummer - und sang zu Werderschem Obstwein die Galgenlieder, die Zeremonienmeister Christian Morgenstern (1871-1914) für sie verfasst hatte. Im Winter traf man sich in Berliner Kneipen, wohl rund zwei Jahre währte die Gemeinschaft, deren Geschichte in Vergessenheit geraten ist.

Der Freundeskreis Bismarckhöhe und der Heimatverein Werder hat sie ans Licht gebracht - und damit die Geschichte des Dichters Christian Morgenstern in Werder. Gestern wurde im Turm der Bismarckhöhe - quasi am Tatort von 1895/96 - ein Morgenstern-Zimmer eröffnet. Das Motto: "Galgenberg, Galgenbrüder, Galgenlieder". Das nach dem Galgenberg benannte Lokal, in dem die Runde tagte, wurde 1897 in Bismarckhöhe umbenannt, irgendwann hieß die Anhhe wie das populäre Gasthaus.

Vieles, was damals passierte, ist im Morgensternzimmer an gut zusammengestellten Schautafeln nachzulesen und anzuschauen. Buch-Ausgaben aus verschiedenen Jahrzehnten machen die Popularität bewusst, die die Galgenlieder bis in die Gegenwart haben. Genau dokumentiert, doch ein bisschen eng und bescheiden ist die Geschichte dargestellt. Ausstellungskurator Achim Risch kann sich vorstellen, dass die Schau noch um einige Grusel-Requisiten ergänzt und größer wird, auch die Galgenpoesie hatte ja klein angefangen.

"O schauerliche Lebenswirrn, wir hängen hier am roten Zwirn! Die Unke unkt, die Spinne spinnt, und schiefe Scheitel kämmt der Wind", heißt es im Bundeslied der Galgenbrüder. Es ist das erste von fünfzehn Liedern, die Christian Morgenstern für die Runde dichtete, zu der auch der Schauspieler Friedrich Kayssler, der Maler Friedrich Beblo und der Dramatiker Georg Hirschfeld gehörten. Dessen Bruder Julius Hirschfeld vertonte die Gedichte, die Noten sind verschollen.

Titel wie "Fisches Nachtgesang", "Der Seufzer" oder "Der Lattenzaun" gehen auf diese Dichtung zurück. "Ein völlig neuer Typus humoristischer Poesie wurde in Werder begründet", sagt Morgenstern-Experte Reinhardt Habel. Habel ist Herausgeber der einzigen Morgenstern-Gesamtausgabe (1978, Urachhaus-Verlag Stuttgart) und war gestern Ehrengast der Ausstellungseröffnung. Die erste Zusammenkunft der Galgenbrüder fand laut Habel wohl zum Baumblütenfest 1895 statt. Doch von volkstümlicher Ausgelassenheit war kaum die Rede: Die finsteren Rituale, die abgehalten wurden, seien doppelbödiger Ausdruck eines Widerstandes gegen preußischen Flottenwahnsinn, Fortschrittsbesessenheit, Deutschtümelei, kolonialem Größenwahn und die Ausführung der Todesstrafe gewesen. "Teil einer Protesjugend, sagt Habel.

"Vor dem Ekel muss man sich mit Lachen schützen", schrieb Morgenstern in seinem Tagebuch. Er machte offenbar reichlich davon Gebrauch: Über 300 Galgenlieder hat Habel im Nachlass des Dichters gefunden, 45 davon hatte der früh an einem Lungenleiden verstorbene Morgenstern noch zu eigenen Lebzeiten veröffentlichen können. Generationen von Dichtern versuchten danach, den Ton der Galgenpoesie zu treffen.

Ausstellungskurator Achim Risch konnte mit seiner "Arbeitgemeinschaft Morgenstern" auch ein sehr lokal gefärbtes Kapitel zur Geschichte der Galgenbrüder hinzufügen: So wurde die Runde dem Wirt wohl bald zu viel - und er verlegte sie auf einen Ausschank am benachbarten Kassinschen Grundstück, wo abgelegen zwischen Fliederbüschen ein Tisch aufgestellt war. Werders Bürgermeister gab alte Werdersche gestern hemdsärmlig so wieder: "Die haben dämliches Zeug gequatscht und gesoffen, und Altenkirch musste sie mehrmals rausschmeißen."

Das Morgensternzimmer ist heute von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Auch während des Baumblütenfestes vom 28. April bis zum 6. Mai wird die Ausstellung zu sehen sein. Der Eintritt ist frei, um eine Spende von 2 Euro wird gebeten. Näheres unter Telefon (03327) 663 170.

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