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KulTOUR: Mumie, Blackbox, Triptychon

45 Studenten aus verschiedenen Kunsthochschulen Europas experimentieren mit Kunst in den Heilstätten

KulTOUR45 Studenten aus verschiedenen Kunsthochschulen Europas experimentieren mit Kunst in den Heilstätten Beelitz · Heilstätten - Ein junger Mann macht sich Gedanken über den eigenen Tod. Er fertigt Gipsabdrücke seines Gesichtes, bastelt im zugewiesenen Raum an einer liegenden Figur, halb Puppe, halb Mumie. Emiel aus Belgien macht sich ein Bild, sein Bild. Eine junge Frau dagegen holt sich zwölf ihrer Kommilitonen zusammen, um mit ihnen ein selbst geschriebenes Lied einzustudieren, welches alle Krankheiten ihrer Seminaristen und Lehrer besingt, aber auch solche, wie man sie in der Reha-Klinik von Beelitz-Heilstätten bei der diesjährigen „Europäischen Austausch-Akademie“ (EEA) über vier Wochen täglich beobachten konnte. Daphna aus Finnland, zuvor nie musikalisch aktiv, betont gleichsam das Wort, jener aber das Bild. Mit „The Image versus the Word“ thematisiert die EEA dieses Jahr das spannungsvolle Verhältnis zwischen diesen Begriffen. Die 45 erwählten Studenten aus verschiedenen Ländern und Kunsthochschulen Europas wohnen diesmal im Kloster Lehnin, wo alle Zimmer gleich aussehen sollen, schuften malend, filmend, schreibend, sägend, hämmernd und bohrend in der ehemaligen Männerlungenheilstätte, wie andere die Jahre zuvor. Fünfzehn Projekte nach Plan müssen bis zur Vernissage am Freitag fertig werden, hinzu kommen studentische Arbeiten im eigenen Auftrag. Doch noch nie war der Krankenstand dieser Sommerakademie so hoch (Sommergrippe!), nie wurden so viele Materialien herbeigeschleppt, wunderte sich der langjährige Leiter dieses Projektes, Harry Heyink (Amsterdam) beim Vorab-Pressetermin am Montag. Organisiert und betreut wird es auch in der dritten Saison im Auftrag von Beelitz, welches dergestalt mit bewundernswürdiger Geduld auf den verheerenden Zustand des größten märkischen Flächendenkmals hinweisen will. Noch immer im Besitz der Roland-Ernst-Gesellschaft, habe sich, außer zunehmendem Verfall und Vandalismus, seit 2001 gar nichts getan, die EEA trage durch ihre Arbeit sogar ein wenig zum Erhalt dieses Jugendstil-Gebäudes bei, meinte Gerd Ohligschläger, Beauftragter der Stadt und rühriger Manager der Akademie. Man wolle „zeigen, dass man hier etwas machen kann“. Heyink dagegen sieht zunehmende Akzeptanz an den Kunstschulen Europas, sogar deutsche Einrichtungen zeigten jetzt Interesse. Nächstes Jahr sind sie vielleicht dabei. Das „Innenleben“ dieser Schar ist wie immer interessant. Theoretische Seminare mit Gastdozenten, Workshops im „Circulation-Room“ und weitere, inzwischen bewährte Erfindungen, Vertrautmachen mit dem Areal, darauf man noch immer stapelweise „Prawda“s“ findet, gemeinsame Arbeit in verschiedenen Gruppen schaffen Nähe untereinander, vielleicht sogar mehr Kreativität, als im letzten Jahr. Man muss den Fortschritt der Kunst nur glauben. Wer steigt schon auf 27 Stunden freiwillig in einen selbst gebauten Holzkasten, um sich im Zeitraffer filmen zu lassen? Wo anders käme man auf die Idee, ein Zimmer in 20 Minuten von einer Moschee in eine protestantische Kirche umzuwandeln, einen riesigen Propeller gangbar zu machen, um kleine Wellen zu erzeugen, oder die gute alte Camera obscura neu zu erfinden? Viel vorab Gesehenes bezieht sich unmittelbar auf die Heilstätte: Der Finne Jani malt auf seinem Balkon ein Triptychon, um den gesellschaftlichen Druck auf pyknischer Kinder zu beschreiben, nebenan werden passende „Uniformen“ für die Sängertruppe von Daphna geschneidert, und Hendrik, der Deutsche, hat als „Arzt“ alles getan, um seine Kommilitonen mit Haar, Urin usw. erkennungstechnisch an sich zu binden. Vernissage am Freitag, 9. September, 16 Uhr im Gebäude B3, Dr. Herrmann-Straße. Sa. u. So. von 11 bis 18 Uhr geöffnet

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