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Das beste fürs Kind. Muttermilch enthält biologisch aktive Substanzen, die das Keimwachstum hemmen, sagt die Spezialistin der Frühgeborenenmedizin, Skadi Springer.

© dapd

Potsdam-Mittelmark: Nationale Stillkommission schaltet sich ein

Nach dem Streit um die Muttermilchvergabe in Schwielowsees Kitas soll eine staatliche Leitlinie für Kitas erarbeitet werden. Eine Expertin versichert: Muttermilch ist sicherer als künstliche Säuglingsnahrung

Schwielowsee / Berlin - Sie wollten alles richtig machen an der Caputher Kita „Schwielowsee“ – und übertrieben es gründlich, wenn man einer Stimme aus der Nationalen Stillkommission glaubt: Als vor einem Jahr ein achtwöchiges Kind in der Kita aufgenommen wurde, die Eltern auf die Fütterung von echter Muttermilch bestanden, kontaktierte das Rathaus die Lebensmittelüberwachung und das Gesundheitsamt. Die Kita hielt sich dann streng an die Empfehlungen, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung für solche Fälle aufgestellt hat, stellte für die Zeit sogar eine zusätzliche Erzieherin ein: Temperaturen wurden gemessen, Einmalhandschuhe und Mundschutz beim Öffnen der Flasche getragen, um der Keimübertragung vorzubeugen, die Vergabe protokolliert.

„Mit einem Betreuungsschlüssel von eins zu sechs ist das kaum zu schaffen“, so Kitaleiterin Claudia Cremer am Montagabend im Sozialausschuss, wo das Thema auf der Tagesordnung stand. Letztlich hafte ja die Kita, wenn etwas schiefgeht. Als das Kind aus dem Säuglingsalter kam, wurde ein Passus in den Kitavertrag aufgenommen, der für Furore sorgen sollte: „In unseren Kindertageseinrichtungen wird nur Muttermilchersatz verfüttert. Eine Verabreichung von mitgebrachter Muttermilch ist nicht zulässig.“ Eine unangebrachte Regelung, wie Skadi Springer von der Nationalen Stillkommission meint. Sie saß am Montagabend im Publikum und befand: Säuglinge sollten auch in Kitas mit Muttermilch versorgt werden.

Schwielowsee ist derweil bei Weitem kein Einzelfall. Auch in anderen Kitas in der Region und auch in Potsdam werde Muttermilchersatz gegeben, wie Bürgermeisterin Kerstin Hoppe argumentierte. Der Aufwand sei zu groß, wenn Mütter nicht selbst zum Stillen in die Krippe kommen können. Zudem handele es sich um seltene Einzelfälle. Drei Fälle gab es laut Hoppe seit 2006 in der Gemeinde, in denen Eltern Beruf und Kinderwunsch nicht anders unter einen Hut bekamen.

„Es gibt nichts Besseres als Muttermilch“, hält die Caputher Ärztin Winnie Berlin entgegen. „Für den Säugling bietet sie einen einzigartigen Schutz gegen Infektionen und Allergien.“ Berlin hörte von der Sache, sah die in Brandenburg geltende Betreuungspflicht ab acht Wochen infrage gestellt, trug die Angelegenheit vor einigen Tagen an die PNN heran und informierte die Stillkommission. Mit erstaunlich schnellem Erfolg.

Kinderärztin Skadi Springer aus Leipzig machte sich für trotz des Schneetreibens am Montag mit dem Auto auf den Weg. Sie ist ausgewiesene Spezialistin für Frühgeborenenmedizin, langjährige Leiterin der Frauenmilchbank in Leipzig und seit deren Gründung 1994 Mitglied der Stillkommission. Deren Auftrag: Das Stillen in Deutschland zu fördern, die Bundesregierung zu beraten, Empfehlungen herauszugeben, Hindernisse abzubauen. „Auch wenn es im Ort zu Verspannungen führte: Ich bin richtig dankbar für den Streit in Caputh“, so Springer, die nach einigem Hickhack Rederecht bekam.

Die Kommission habe staatliche Standards für kranke Säuglinge und Frühchen in Kliniken erarbeitet, auch für gesunde Kinder zu Hause. „Aber nicht für die Kitas.“ Das soll jetzt nachgeholt werden, Springer will zur nächsten Kommissionssitzung im April einen Vorschlag dazu vorbereiten. Sie geht davon aus, das recht bald ein verbindlicher Leitfaden zum Umgang mit Muttermilch an Kitas vorliegen wird. Was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in Bonn herausgegeben hat, halte einer wissenschaftlichen Prüfung nicht stand. Besonders „das große Potenzial für das Keimwachstum“, vor dem die DGE warnt, stellt Springer infrage.

Gegenüber dem Säuglingsmilchersatz sei es sogar ein Vorteil der Muttermilch, dass sie biologisch aktive Substanzen enthalte, die das Keimwachstum hemmen. „Muttermilch ist weniger gefährlich und länger haltbar als künstliche Säuglingsnahrung“, sagte Springer. In der Kita „Schwielowsee“ habe man sich mehr Arbeit als nötig gemacht. „Normales Händewaschen und die beschriftete Flasche im Kühlschrank reichen völlig aus.“ In Leipziger Kitas sei das gängige Praxis. Eine Haftungsfreistellung werde es derweil auch mit einer staatlichen Leitlinie nicht geben. „Verantwortung“, so Springer, „ist da, um getragen zu werden.“ Henry Klix

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