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Pflanzenschutz im Sozialismus: Ab 1975 wurden Hubschrauber eingesetzt.

© privat

Von Thomas Lähns: Obstbau unterm Roten Banner

Stefan Porsch hat Daten aus 40 Jahren Gartenbaugeschichte zusammengetragen. Eine lückenlose Aufarbeitung, sagt er, sollen Historiker übernehmen

Werder (Havel) - Der „sozialistische Frühling“ 1960 verlief alles andere als mild für die letzten freien Bauern in der DDR. In Scharen strömten Agitatoren des SED-Regimes auf die Dörfer, um die Landwirte zur Aufgabe ihrer Selbstständigkeit und zum Eintritt in Genossenschaften zu drängen – auch in der Region Werder. Ziel war die sogenannte Vollkollektivierung und so die ideologische Durchdringung bis ins kleinste Dorf. Viele flohen in die BRD, einige weigerten sich und kamen ins Zuchthaus. Manche begingen Selbstmord. Zu einem kritischen Geschichtsbewusstsein haben die Besucher bei der jüngsten Veranstaltung des Heimatvereins aufgerufen. Thema war der Obstbau im Havelland zwischen den 1950er Jahren und der Wende.

Über seine Eindrücke aus 40 Jahren Obst- und Gemüsebau im Havelland berichtete Stefan Porsch, der als Gartenbauingenieur seit 1952 zwischen Werder und Potsdam gearbeitet hat. Als stellvertretender Vorsitzender wickelte er 1990 den Kooperationsverband (KOV) Havelobst ab, in dem 24 Genossenschaften, Betriebe und Institute organisiert waren. Ihm gehe es darum, die ihm bekannten Fakten festzuhalten – eine lückenlose Aufarbeitung, sagt er, müssten Historiker übernehmen. Und so konnte Porsch zwar kaum kritische, dafür aber sehr detaillierte Einblicke in den Gartenbau zu DDR-Zeiten geben. In mühevoller Arbeit hat er Zahlen zusammengetragen und frühere Kollegen interviewt – und damit den „sozialistischen Gang“ von der Einzel- zur Planwirtschaft nachgezeichnet.

Dass der Sozialismus eine Zäsur für die Region Werder bedeutete, stellte Porsch ohne Umschweife klar. Hatte sich in den ersten 150 Jahren seit Ende des 18. Jahrhunderts kaum etwas an den Anbaumethoden geändert – die Betriebe waren klein, das meiste wurde in Handarbeit erledigt – änderte sich dies ab den frühen 60er Jahren. Im Rahmen der Kollektivierungen bildeten sich auch im Havelland Gärtnerische und Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (GPG/LPG). „Bis 1967 wurden 1150 überalterte Obstanlagen gerodet und durch leistungsfähige Neupflanzungen ersetzt“, erinnerte sich Porsch an deren Leistung. Für die Arbeit wurden zunehmend Maschinen wie Düngerstreuer und Rigolpflüge eingesetzt, die seit 1959 bei der Maschinen-Traktoren-Station (MTS) Glindow für Genossenschaftler verfügbar waren.

In der Forschung ist unstrittig, dass viele der ersten MTS-Maschinen von verlassenen Höfen und aus Enteignungen stammten. Berichtet wird darüber, dass die Glindower offenbar besonders resistent gegenüber den Plänen der SED waren. Der Historiker Arnd Bauerkämper hat zur „Ländlichen Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur“ geforscht und schildert in dem gleichnamigen Buch, wie sich im Mai 1960 die gerade erst gegründete GPG in Glindow wieder aufgelöst hatte. Man habe das Gründungsprotokoll unter Zwang unterschrieben, hieß es damals. Ein NVA-Oberleutnant soll gedroht haben: „Wer nicht eintritt, wird eingesperrt.“ In dieser Zeit kamen auch Briefe von geflohenen Glindowern aus dem Westen mit der Aufforderung an die früheren Nachbarn, ihnen zu folgen.

Nicht zuletzt durch die Massenflucht kurz vor dem Mauerbau wuchsen die Anbauflächen für die Genossenschaften. 1968 wurde der Kooperationsverband Havelobst gegründet, dem sogleich 13 LPGs und GPS beitraten, wie nun Stefan Porsch zu berichten wusste. Mit dem neuen Fünfjahresplan ging 1971 nach Werder die Weisung, „durch die Intensivierung der Obst- und Gemüseproduktion zur Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung der Hauptstadt Berlin sowie der Industriezentren beizutragen". Konkret hieß das: Verdoppelung der Anbauflächen, Verfünfachung der Produktion – und das „Einbeziehen aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens“. Das bedeutete nicht nur die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen wie der Humboldt-Uni, sondern auch das Anwerben von freiwilligen Erntehelfern, zum Beispiel durch die FDJ. 1989 lag der Bedarf an zusätzlichen Kräften im hiesigen Anbaugebiet bereits bei 30 000.

Eine der technischen Neuerungen dieser Zeit war das Bewässerungssystem, das in den 1970ern ausgebaut wurde. Mit 22 neuen Pumpstationen konnte die Beregnungsfläche um 1 500 Hektar erweitert werden. 1986 waren es schon 8560 Hektar. Zudem wurden 53 Kilometer Plattenstraße sowie riesige Lagerplätze gebaut. Ab 1975 wurden regelmäßig Hubschrauber für das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln eingesetzt. Über die Jahre wuchs das Obstbaugebiet nicht nur in der Fläche: In angegliederten Instituten wurde geforscht, in neuen Fachschulen wie der auf der Jugendhöhe Nachwuchs ausgebildet. Ab 1980 entstanden zudem Plattenbauwohnungen in der Region.

Noch rasanter als die Entwicklung des Gartenbaus in der DDR war nur sein Ende. 1989 war zwar die Ernte gut, „aber beim Absatz gab es nach der Grenzöffnung große Schwierigkeiten“, bilanzierte Porsch. Die Konkurrenz war zu groß, zudem zahlte die Europäische Gemeinschaft eine Rodeprämie für Obstflächen. 1990 wurde der KOV Havelobst aufgelöst – und viele der Anbauflächen gingen an die rechtmäßigen Besitzer zurück.

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