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Chilizucht in der Wohnung. Tilo S. hat damit aufgehört.

© imago/China Foto Press

Potsdam-Mittelmark: Risiko in der Steckerleiste

Vor einem Jahr ist in Werder eine Wohnung in der Eisenbahnstraße ausgebrannt. Der Mieter musste sich gestern vor dem Amtsgericht für seine Chilizucht rechtfertigen

Werder (Havel) - Die Richterin hat nicht gerade eine angemessen strenge Miene aufgesetzt. Und die junge Staatsanwältin unterdrückt bei der Verlesung der Anklage ein Schmunzeln. Donnerstagmorgen im Potsdamer Amtsgericht: Es geht – ganz im Ernst – um eine Chilizucht, die in einem Miethaus in Werder einen Brand ausgelöst haben soll. Ein Jahr ist das her, es gab einen Sachschaden von satten 200 000 Euro. Dass sich das Feuer in der Eisenbahnstraße wegen der Schärfe der Schoten entzündete, dachte wohl jeder im Amtsgericht mal vor sich hin. Natürlich nur, weil niemand ernsthaft verletzt wurde.

Im Verhandlungsverlauf war zu erfahren, dass der angeklagte Hobbyzüchter, Zimmermann Tilo S.*, in seiner Mietwohnung in Werder sehr viele Stecker von Stromfressern in einer Steckerleiste hatte, damit es die Peperoni in ihrem Minigewächshaus gemütlich haben. Fahrlässigkeit ließ sich nicht nachweisen, der 31-Jährige wurde freigesprochen.

Am Ende der Verhandlung war man dank des Brandsachverständigen immerhin schlauer, was die Gefahren des häuslichen Gartenbaus und überhaupt des Betriebs elektrischer Geräte in unserer von Risiken geprägten Gegenwart angeht.

Der erfahrene Experte packte auf die Zeugenbank, was er an relevanten Beweisstücken gefunden hatte. Die verkohlten Reste einer Spezialleuchte, 600 Watt, einen zerschrumpelten Lüfter, 150 Watt, Schlauch- und Kabelstummel, die teilweise an den leiblichen Überresten der Steckerleiste klebten. Der Ruß färbte an seinen weißen Handschuhen ab. Überflüssigerweise wies er darauf hin, dass der Luftbefeuchter nicht mehr geht.

„Können Sie mir sagen, was das ist“, fragte der Experte den Angeklagten gestreng nach einem schwarzen Klumpen, der am Ende der Steckerleistenreste klebte. Der grübelte, ob es vielleicht das Ladegerät seines Staubsaugerroboters war, den er ja gar nicht mehr betrieben habe. „Wird das dann trotzdem warm?“ Von einem weiteren Gerät, die Schweizer Herkunft schwach erkennbar, wusste Tilo S. beim besten Willen nicht mehr, wozu es angeschlossen war.

Fünf der sechs Steckdosen waren belegt. Die Steckerleiste habe in der Nähe einer Holzscheuerleiste gestanden, so der Sachverständige. Er spielte durch, ob der Brand am Netzteil des Ladegerätes begann. Manche Netzteile hätten Lüftungsschlitze unter den Steckern. Die Öffnungen blieben zwar an Wandsteckdosen frei, nicht aber an Steckerleisten. „Darauf weisen die Hersteller nicht hin.“

Gefährlich sei es auch, Steckerleisten in verstaubten Eckchen oder unter Schränken zu verstecken, wo sie die kühlende Luft nicht erreicht. Ebenso gefährlich: lange Kabel zusammengerollt lassen, die sich dann wie Magnetspulen aufheizen könnten. „Erst kommt die Wärme, dann die Sicherung“, warnte der Sachverständige. Womöglich sei die Steckerleiste von Tilo S. eine von den billigeren gewesen, die so vielen Stromfressern nicht gewachsen sind. „So ein Ein-Euro-Fabrikat, es gab ja schon Rückrufaktionen.“

Hat Tilo S. denn nun irgendwas sachwidrig betrieben?, fragte sein Anwalt. Das konnte der Sachverständige nicht bestätigen. Nur so viel, dass das Feuer von der Steckerleiste augegangen war, der Brand sich auf das darüber aufgebaute Plasitikgewächshaus, das Zimmer und die Wohnung ausdehnte. Sandra F.*, die Freundin von Tilo S., war an jenem Morgen gerade aus der Dusche gekommen, wie sie im Zeugenstand erklärte. „Ich wollte Kaffee machen, plötzlich knallt es, als wenn ein schwerer Besen umkippt.“ Da sah die 26-Jährige auch schon den Rauch aus der Kammer kommen. Ihr Freund habe alles probiert, das Feuer zu löschen.

Sie habe damals noch nicht lange bei Tilo S. gewohnt. Von der Chiliaufzucht zwar gewusst, sich aber nicht dafür interessiert. Als Verkäuferin und Reinigungskraft habe sie gerade einen Job gesucht. „Ich hatte den Kopf voll.“ Tilo S. schilderte, wie er mit Wasser und seiner Kuscheldecke versucht habe, das sich ausbreitende Feuer einzudämmen. Als das Wasser wegzischte und die Decke nicht mehr half, hätten sie beide die Flucht ergriffen, Hausmeister und Nachbarn verständigt, bis auch schon die Feuerwehr mit über 30 Kräften eintraf.

Die Polizei fand nach dem Brand ein Tütchen mit Marihuana im Wohnzimmer, vermutete anfangs eine Cannabiszuchtanlage. Das sprach sich in Werder rum. Der Verdacht bestätigte sich nicht. Für den Schaden an dem gerade erst sanierten Haus ist größtenteils die Versicherung aufgekommen. Sie wird nach dem Freispruch wohl auch den Rest bezahlen, wie es hieß.

Tilo S. ist nicht vorbestraft, wirkte gestern glaubhaft, erzählte, wie er als Kind mit dem Vater mit der Chilizucht in einem Außengewächshaus begonnen hatte, beim Auszug einige Pflanzen mitnahm und sich im Internet kundig machte, was zu tun ist, damit die feurigen Früchte in der Wohnung reifen. Das Netz ist voll von Chiliforen, Crashkursen und Befruchtungshinweisen. Bis es zu dem Brand kam, hatte Tilo S. schon anderthalb Jahre seine Küche mit den Erträgen bereichert. Inzwischen hat er mit der Indoor-Zucht aufgehört. (*Namen geändert)

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