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KulTOUR: Strings und Gelatine

Heute Finissage der Kunstaktion „Zunge in Aspik“ in Petzows Kirche

KulTOURHeute Finissage der Kunstaktion „Zunge in Aspik“ in Petzows Kirche Werder · Petzow - Heute hat das geschätzte Publikum zum letzten Mal Gelegenheit, eine unziemliche Kunstproduktion in Petzows Schinkelkirche zu erleben. „Zunge in Aspik“ beschäftigt sich in provokantem Ambiente mit dem Verhältnis von Text-Sprache-Stimme, und lebt zugleich aus dem Widerspruch von Kulinarität und Glibberigkeit. Seit der Eröffnung haben ganz unterschiedliche Künstler unter solchen Ambivalenzen gesungen und gelesen, der Schweizer Autor Fritz Sauter beispielsweise „aus dem Liebesleben eines Herzschrittmachers“, indes die Künstlerinnen Ute Fürstenberg und Petra Walter-Moll vom Munde der Besucher wunschgemäß Lob wie Tadel ernteten. Man hörte „eklig“, „sakrilegisch“ oder „Schande!“ rufen, aber auch das Gegenteil. Den beiden Damen ist das recht, ihr erstes Gemeinschafts-Opus will mittels Texten, Strings und Gelatine (und Wink und Gruß vom Beuys) vorerst provozieren, ein anderes Ziel sei, wie man hörte, derzeit nicht in Sicht. Die Wände sind leer. Man hat also keine Ausstellung vor sich, nur eine Installation, welche den weltlich genutzten Sakralraum offenbar so veränderte, dass Heiratswillige (es gibt heute viele davon) das Kulturamt Belzig dringend bitten, sowohl die „Fusseln“ über dem Gestühl wie die Gelatinequader auf demselben tunlichst zu entfernen. Natürlich lässt sich das auch ganz anders sehen, gleichnishafter: In die verderblichen Gelee-Körper (Woche um Woche eigens für die Darbietungen erschaffen) sind nämlich Schnipsel aus Tagesblättern hineingekocht. „Zeitungs-Sülze versteht jeder sofort“, meinte Ute Fürstenberg. Na klar, auch unsereiner. Bis zur Wahl vom 18. September war mit dieser Metapher die „politische Sprache“ gemeint, danach mehr die „Vermüllung“ des geschriebenen und gesprochenen Textes im Allgemeinen. Das denkt sich doch gut: Außen amorph wie Gelee, innen mit Titelbalken der Journaille gestopft, so kann auch der Kirchgänger sein, wenn er sich das „Sülzen“ von der Kanzel anhören muss. Man fühlt sich sogleich an eine Geschichte des österreichischen Expressionisten Gustav Meyrink erinnert, wo ein europäischer Forscher in einem Himalaya-Tal auf Wesen traf, die Menschen mit einem Wort in Schleimkegel verwandeln konnten. Natürlich spricht man dieses Geheimnis nicht aus. Auch die zweihundert Epoxydharz-Fäden assoziieren so mancherlei Tropfen, „von oben herab“. Wie immer auch, eine klare Sicht von der Kirchenbank nach vorne ist durch das Gehänge ebenso versperrt wie umgekehrt auch. In dieser Situation geschehen nun die aspikenen Worte, Texte, Klänge – „lob des schweigens“ etwa letzten Sonntag mit dem Autor Martin Ahrens und dem Flötisten Hannes Himmelmann. Wer nicht dabei war, muss wohl stillesein. Soviel war jedoch zu hören: Das beschriebene Konzept ist den Erfinderinnen in seinen emotionalen wie gedanklichen Dimensionen derartig wichtig geworden, dass sie es mit dieser einen Arbeit gar nicht ausschöpfen können. Wer weiß, was da noch alles kommt, Aspik ist schließlich ein alterfundenes Lebensmittel. Von nahem halfen der Petzower Kulturkreis e.V., die Gemeinde und der Landkreis mit, von ferne holte man sich Unterstützung durch die Züricher Kulturstiftung „pro helvetia“. Doch jetzt ist erst mal Schluss. Zur heutigen Finissage geht es drinnen und draußen mit Tanz, Musik und Feuer um „rosa dunkel“. Der Ernsthaftigkeit des Themas „Sprache“ wegen sollte unbedingt Humor mitgebracht werden. Guten Appetit denn. 20 Uhr, Eintritt 7 bzw. 5 Euro

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