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Potsdam-Mittelmark: Turbulente Verhandlung

Ein Zahnarzt soll sich selbst den Finger abgeschnitten haben. Am Freitag wurde der Prozess fortgesetzt

Potsdam / Beelitz - Die Verteidigerin spricht von Willkür, die Richterin schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und ein Kriminalbiologe erklärt erneut, warum er Marcus B. für schuldig hält.

Am Freitag wurde in Potsdam die Verhandlung gegen den wegen Versicherungsbetrugs angeklagten Zahnarzt aus Fichtenwalde fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, sich den linken Zeigefinger abgetrennt zu haben. B. bestreitet das und fühlt sich vorverurteilt. Seine Verteidigerinnen erklärten Richterin und Schöffen deshalb für befangen.

In der Sache ging es am fünften, oft unterbrochenen Verhandlungstag um ein zentrales Moment: Hat sich der Arzt vor dem Schnitt betäubt oder nicht? Im Laufe des Verfahrens trugen bereits ein Mediziner, ein Toxikologe, ein Kriminalbiologe, ein Notarzt und sogar ein Spürhundeführer Zweifel an B.s Tatversion vor. Der Angeklagte sagt, ihn hätten im März vergangenen Jahres zwei Räuber in seiner Praxis überfallen. Sie verlangten nach Geld, Gold und Medikamenten. Weil er ihnen nur 50 Euro geben konnte, schnitten sie den Finger ab und nahmen ihn mit. In der Not habe sich der 43-Jährige selbst mit Schmerzmittel behandelt.

Dieses Mittel wurde auch in den Blutspuren in der Praxis und in B.s Körperblut nachgewiesen. Laut einem vom Gericht berufenen Gutachter jedoch in so einer hohen Konzentration, dass dies nur einen Schluss zulasse: Der Arzt muss sich betäubt haben, bevor der Finger amputiert wurde. Das haben B.s Verteidigerinnen am Freitag zu widerlegen versucht.

Dazu hatten sie einen emeritierten Professor der Forensischen Toxikologie an der Charité Berlin mit einem Gutachten betreut. Darin habe er festgestellt, dass die Konzentration des Schmerzmittels nicht eindeutig darauf schließen lasse, dass der Finger erst betäubt und dann abgeschnitten wurde. Der Professor war am Freitag zwar anwesend, wurde aber trotz Antrag der Anwälte nicht von der Richterin gehört. B.s Verteidigerinnen schimpften und stellten einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht, der umgehend zurückgewiesen wurde. „Dieser Vorgang ist einzigartig in meinem Berufsleben“, erklärte eine der Anwältinnen. „Das ist nicht der Weg, wie man zu einer Erkenntnis kommt.“

Es ist nicht der erste Befangenheitsantrag im Verfahren. Auch der Staatsanwältin und einem Gutachter warf die Verteidigung Vorverurteilung vor. Alle Anträge wurden von der Richterin abgelehnt. Im Gegenzug lauschte sie geduldig den sich oft wiederholenden Fragen der Verteidigung. Auch am Freitag, als die Anwälte erneut einen vom Gericht beauftragten Kriminalbiologen in den Zeugenstand riefen.

Der Angestellte des Landeskriminalamtes führte bereitwillig aus, warum er B. für schuldig hält: Unter anderem habe er nachweisen können, dass das gefundene Blut nicht in einem hohen Bogen aus der Wunde gespritzt sei, sondern tropfte – so als hätte man für Spuren sorgen wollen. Das widerspricht B.s Darstellung.

Ohnehin scheint die Zahl der Zufälle in dem Fall sehr groß: So hatte Marcus B. die Versicherung erst wenige Wochen vor dem Überfall abgeschlossen. Als die Täter in die Praxis kamen, habe die Police noch verschlossen in der Briefablage gelegen, sagt er. Bei einer reinen Invalidität stünden B. 600 000 Euro zu, bei einer Amputation infolge eines Raubüberfalls weitere 250 000 Euro. Tobias Reichelt

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