zum Hauptinhalt
Mit Fassung. Mit einer Strafe auf Bewährung könne die Mutter, die im vergangenen Oktober in Glindow ihr Baby erstickte, nicht rechnen. Das hätte eine Signalwirkung gehabt, sagte der Vorsitzende Richter Frank Tiemann am Donnerstag.

© Julius Frick

Potsdam-Mittelmark: Vier Jahre Haft im Babymordprozess

Die 35-jährige Mutter wird wegen Totschlag an ihrem Neugeborenen im minderschweren Fall verurteilt

Von Eva Schmid

Potsdam/Werder (Havel) - Fest drückt sie das Taschentuch in ihrer Hand zusammen, als wäre es ein Halt vor dem, was nun kommen wird. Den Kopf gesenkt, die Hände stützend an der Tischkante, ließ Kathleen B. das Urteil der Richter über sich mit Fassung ergehen. Am gestrigen Donnerstag verurteilte das Potsdamer Landgericht die 35-jährige Frau und Mutter eines siebenjährigen Sohnes wegen Totschlags ihres Neugeborenen zu vier Jahren Haft. Die Frau mit den kurzen schwarzen Haaren und der zierlichen Statur hatte im vergangenen Oktober ihr Baby selbst zur Welt gebracht, es anschließend erstickt und den Leichnam auf den Schnellkompostierer vor ihrem Haus in Glindow entsorgt. Trotz ihrer schrecklichen Tat ist sie glimpflich davongekommen: „Dafür, dass Sie einen Menschen getötet haben, ist eine Freiheitsstrafe von vier Jahren schon sehr niedrig“, sagte Richter Frank Tiemann.

Es war ein Dienstag im Oktober, der das bisherige Leben von Kathleen B. schlagartig änderte: Es war der Tag, an dem die Mutter ihres Ex-Freundes auf dem Grundstück in Glindow im Kompostierer die Babyleiche fand. Zwei Tage zuvor war es auf die Welt gekommen. Ein Junge, 52 Zentimeter groß, zweieinhalb Kilo schwer. Obwohl einige Wochen zu früh geboren, ein reifes Neugeborenes, wie der Rechtsmediziner bei der Obduktion feststellte. Todesursache: Ersticken. Todeskampf: zwischen 20 Minuten und einer Stunde.

Kathleen B. stopfte dem Säugling Toilettenpapier tief in den Rachen, aus Angst, dass der Junge schreien könnte. Danach wickelte sie ihn in ein Handtuch. Als sich das Baby noch bewegte, holte sie Küchenpapier und Kreppband aus dem Wohnzimmer und band es um den Kopf ihres Kindes. Dann schloss sie das Handtuch, umwickelte auch das mit Klebeband, legte es in eine Plastiktüte und für mehrere Stunden in die Waschmaschine. Erst spät am Abend nahm sie das Bündel und entsorgte es auf dem Kompostierer.

Die Details der grausigen Tat erzählte Kathleen B. den Richtern unter Tränen bereits am ersten Verhandlungstag. Der Sonntag nach der Tat sei normal gewesen, berichtete sie. Der Montag auch – da ging sie wie gewohnt zur Arbeit. Als wäre nichts geschehen. Erst am Dienstag war plötzlich alles anders. Seit diesem Tag reden ihr Ex-Freund und seine Familie nicht mehr mit ihr.

Das Bild, das der Psychiater den Richtern in seinem Gutachten von Kathleen B. zeichnete, zeigt eine ängstliche, unsichere und äußerst zurückhaltende Frau. „Sie hat nie gelernt, ihre Bedürfnisse zu artikulieren“, sagte Psychiater Matthias Lammel. Anders als andere Menschen habe sie keine Ecken, Kanten oder ein Profil. Nie habe sie gelernt, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, geschweige denn einzufordern. „Ihr Lebenskonzept ist geprägt vom Vermeiden“, so Lammel. Sie gehe Konflikten aus dem Weg, könne keine Probleme lösen, würde sich durchs Leben hangeln. Der Psychiater diagnostiziert ihr eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung. Und gab damit allen Prozessbeteiligten eine Lesart für die Tat und deren Hintergründe. Die Angeklagte selbst konnte nicht erklären, warum sie ihr Kind tötete.

„Die Persönlichkeitsstörung ist für die Tat von erheblicher Bedeutung“, so Richter Tiemann. Die Situation, ihr Kind zu töten, kam erst durch die Schwangerschaft „und die war geprägt vom Schleifenlassen“, sagte der Richter. Von Anfang habe sie den Gedanken an die Schwangerschaft weggedrängt, auch nie überlegt, was nach den neun Monaten passieren könnte. Sie habe weitergeraucht und Alkohol getrunken. „Als es dann so weit war, hat sie das konsequent fortgesetzt, was sie vorher auch machte“, so Tiemann. Und zwar verheimlichen, um Konflikte zu vermeiden. „In dem Moment hat sie die falsche Entscheidung getroffen.“ Sie sei wie andere Mütter bei der Geburt in einem psychischen Ausnahmezustand gewesen. Die Tat sei nicht geplant gewesen. Auch die beengten Wohnverhältnisse – Kathleen B. lebte mit ihrem Ex-Freund und gemeinsamem Sohn in einem 16 Quadratmeter großen Zimmer – seien eine Belastung für sie gewesen.

Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Totschlags und forderte sechs Jahre Haft. Der Verteidiger von Kathleen B. hingegen machte deutlich, dass die Mutter unter der Tat ein Leben lang leiden werde. Er forderte eine Freiheitsstrafe auf Bewährung, die läge bei maximal zwei Jahren. Damit hätte sie auf freiem Fuß bleiben können.

Die Kammer entschied sich für den Mittelweg, folgte aber der Verteidigung bei der Bewertung als Totschlag im minderschweren Fall. „Es ist ein Grenzfall“, räumte der Richter ein. Ohne die mildernden Umstände der Tat wären es mindestens fünf Jahre Haft gewesen.

Laut dem Richter würden im Fall von Kathleen B. etliche dieser mildernden Gesichtspunkte vorliegen, „strafverschärfend fällt hier nicht viel ins Gewicht“. So sei die Angeklagte geständig gewesen, sie bereue ihr Handeln, sei nicht vorbestraft, habe sich in einer psychischen Ausnahmesituation spontan zur Tat entschlossen. Richter Tiemann betonte am Ende der Verhandlung noch, dass der Tod durch Ersticken lang und qualvoll gewesen sein muss. Eine Bewährungsstrafe wollte er nicht vergeben – das hätte eine Signalwirkung gehabt und sei, wenn überhaupt, nur in krassen Ausnahmefällen denkbar. Wann das Urteil vollstreckt wird, ist noch unklar. In Handschellen wurde Kathleen B. nicht abgeführt, sie bleibt vorerst auf freiem Fuß, da nicht mit einer Flucht oder einer Wiederholung der Tat zu rechnen ist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false