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Potsdam-Mittelmark: Zitronengelber Vorwurf

Wie sich einfallsreiche Geschäftsleute am Tor zur Teltower Altstadt behaupten müssen

Teltow – Ihr Grüntee mit Ingwer, Lemongras und Pfeffer gilt noch als Geheimtipp, doch ihr „Teltower Salon“ ist in der Stadt längst zum kulturellen Highlight geworden: Marion Storm, Inhaberin des Fachgeschäftes TeeArt-Café, ist so etwas wie ein Motor in der Altstadt. Sie hat jede Menge Ideen – die sie zum Glück nicht für sich behält – und sie bringt bei ihren Buchlesungen, kleinen Konzerten und Ausstellungen Leute zusammen, die sich sonst nie kennengelernt hätten.

Als sich die Berliner Geschäftsfrau genau heute vor fünf Jahren entschloss, an der Zehlendorfer Straße einen Teeladen zu eröffnen, war es vor allem die Altstadtatmosphäre, die sie dazu bewog. Denn diese steingewordene Ackerbürger-Idylle haben andere Gemeinden in der Region nicht zu bieten. Auch die gute Infrastruktur mit S-Bahn und Regionalbahnhof sei ein gutes Pfund, mit dem die Stadt wuchern könne, meint Marion Storm. Hinzu komme das grüne Hinterland – doch trotz all dieser Vorzüge übersah sie nicht, dass noch viel zu tun war im unmittelbaren Umfeld ihres Ladens.

„Aber Teltow“, sagt sie „hat so etwas wie Rock “n“ Roll“. Die Stadt ist nicht fertig, zwischen glänzenden Fassaden gibt es jede Menge ehrwürdiger Brüche und Lücken. Also jede Menge Potenziale, zeigt Marion Storm auf einen grauen Klotz gegenüber, dessen Ladenfront mit abgerissenen Plakaten bedeckt ist. Von Tür und Fenstern blättert die Farbe und die Mauern weisen Risse auf. Die Immobile, Eigentum der Stadt, ist seit langem unbewohnt, einige Jahre nach der Wende war darin noch ein Geschäft für Kinderbekleidung. Nebenan, im ehemaligen Fahrradladen, wurden die Schaufenster mit blauen Plastikplanen verhangen und im Hof, in den man von der Straße aus blicken kann, türmt sich Gerümpel. „Jeden Tag diesen Anblick ertragen zu müssen, das braucht Kraft“, sagt Marion Storm. Manchmal habe sie auch schon mit dem Gedanken gespielt, aufzugeben. In diesem Jahr besonders, als der Bau der Ostspange ihr Geschäft regelrecht abgeschnitten hatte und der Umsatz in den Keller ging.

„Ans Aufgeben hat hier wohl jeder schon mal gedacht“, meint Brigitte Ulrich vom Buchladen auf der anderen Straßenseite. Trotzdem blieb sie, und auch „Die kleine Augenweide“ gegenüber behauptet sich bereits seit zehn Jahren am Ruhlsdorfer Platz, den die Stadtväter „Tor zur Altstadt“ tauften.

Das „Tor“ dokumentiert beispielhaft Teltows Gegensätze: auf der rechten Seite, die von der Wohnungsbaugesellschaft Teltow sanierten Blöcke in frischen Farben, auf der anderen Seite traurig graue Häuser. Nur das Optikgeschäft setzt dagegen ein trotziges Signal in Zitronengelb. Die beiden Optiker, Andreas Notz und Roland Lämmle, ließen im vergangenen Jahr den Vorplatz vor ihrem Laden pflastern und einen Minigarten anlegen. Auch die Rückwand des Gebäudes begrünten sie mit Sträuchern und Kletterpflanzen. Von den meisten Kunden kam Lob, aber es gab auch solche Kommentare: „Teltow ist eh hässlich, die Mühe lohnt doch gar nicht!“ So was ziehe einen dann ganz schön runter, sagt Roland Lämmle. Ein Jahr zuvor beteiligte er sich ebenso wie Marion Storm am Werkstattgespräch über die Zukunft des Ruhlsdorfer Platzes, zu dem seinerzeit der Sanierungsträger complan eingeladen hatte. Bäume, Kunstobjekte und Cafés, hießen einige Alternativen zur gegenwärtigen Trostlosigkeit. „Doch bis das irgendwann 2023 realisiert wird, wollten wir nicht warten“, begründet er die eigene Initiative. Es musste kurzfristig etwas passieren, und so wirkt „Die kleine Augenweide“ nun wie ein Vorwurf neben dem grauen Klotz, dessen Dachziegel bedrohlich locker sind. Oft räumen er und sein Kollege auch den Müll vorm Nachbarhaus weg, da die Stadt das Haus offenbar vergessen hat.

Wie schön das Haus und der Ruhlsdorfer Platz vor hundert Jahren einmal war, kann auf alten Fotos bewundert werden, die als kleine Galerie in den Schaufenstern des Optik-Ladens ausgestellt sind.

Kirsten Graulich

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