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Sport: Adieu les Bleus

Rehhagels Griechen schlagen Frankreich mit 1:0

Ganz im Sinne seiner neuen Wortkreation hatte Otto Rehhagel es mit „emotionaler Intelligenz“ versucht: „Ich habe meinen Jungs gesagt: Wenn euch nachts Thierry Henry im Traum erscheint, habt nicht zu viel Angst.“ Ob einer seiner griechischen Spieler tatsächlich eine nächtliche Begegnung mit Frankreichs Stürmerstar hatte, ist nicht bekannt. In der gestrigen Nacht dürften die Franzosen auf jeden Fall von Angelos Charisteas geträumt haben. Von jener 65. Minute, als der Stürmer von Werder Bremen das entscheidende Tor beim 1:0 (0:0) gegen den entthronten Europameister erzielte, der es nicht fertig brachte, als erster in der Geschichte seinen Titel zu verteidigen.

Von Beginn an verlief das Viertelfinalspiel gegen Frankreich in Lissabon genau so, wie es sich Griechenlands Trainer Rehhagel gewünscht hatte: Zwei, drei Griechen attackierten den jeweils Ball führenden Spieler der Franzosen und unterbanden so das gefürchtete Offensivspiel des Gegners. Sechs Jahre, nachdem auch die Deutschen einsehen mussten, dass die Zeit des Liberos abgelaufen war, verblüffte Rehhagel die Franzosen mit seiner Wiederentdeckung. Traianos Dellas spielte eine Art Ausputzer, der sich je nach Spielsituation auf die linke oder rechte Seite verschob.

Mit diesem Zeitsprung kam Frankreich nicht zurecht. Der Europameister wirkte verunsichert und fand gegen die laufstarken Griechen, die noch nie zuvor im Viertelfinale eines großen Turniers gestanden hatten, nicht zu seinem Spiel. Mehr noch: Nach einer Viertelstunde erkannte Rehhagels Mannschaft, dass ihnen die Franzosen mehr zugestanden, als nur deren Spiel zu zerstören. Es trat ein, womit niemand vor dem Spiel rechnen konnte: Griechenland übernahm die Initiative.

Und so kam der erste Torschuss der Partie nicht von den Stars Henry, Trezeguet oder Zidane, sondern von Demis Nikolaidis. Er scheiterte nach 15 Minuten an Fabien Barthez. Kurz danach konnte Barthez nur mit Hilfe des Pfostens den Ball auf der Linie halten. Katsouranis hatte nach einem Freistoß von Karagounis geschossen. Dass er überhaupt zu der Chance kam, war schon überraschend: Katsouranis war als Bewacher von Zinedine Zidane eingeteilt. Auch eine Aufgabe, für die im modernen Fußball normalerweise kein Platz mehr ist. Doch die erledigte Katsouranis so gut, dass sich der Weltstar Zidane kurz vor der Halbzeitpause aus Frust sogar eine Gelbe Karte nach einem Foul einhandelte. Nur eine Einzelaktion von Henry brachte Gefahr für das griechische Tor. In der 25. Minute köpfte er nach einer Flanke von Bixente Lizarazu knapp über das Tür.

Erst in der zweiten Halbzeit schien der Europameister seine Leidenschaft entdeckt zu haben. Frankreich erhöhte den Druck, die Griechen hatten kaum noch Offensivaktionen. Aber es blieb dabei: Hier spielte keine Mannschaft, hier spielten Individualisten – jeder für sich. Kurz nach Wiederanpfiff strich Henrys Seitfallzieher nur um Zentimeter am Tor vorbei, in der 57. Minute zog Lizarazu 30 Meter in den Strafraum und konnte erst kurz vor dem Tor in griechischer Gemeinschaftsarbeit vom Ball getrennt werden. Langsam kam Frankreich ins Rollen, das Tor schien nur noch eine Frage der Zeit, als sich plötzlich folgendes zutrug: In der 65. Minute bekam Theodoros Zagorakis den Ball, lupfte ihn über den kleinen Lizarazu, drang in den französischen Strafraum ein, flankte in die Mitte, wo Angelos Charisteas aufstieg und den Ball unhaltbar ins Tor köpfte. Griechenland führte 1:0.

Frankreichs Trainer Jacques Santini reagierte und brachte die Stürmer Sylvain Wiltord und Louis Saha. Doch ein bedingungsloser Sturmlauf wurde es nicht. Drei Minuten vor Schluss kam Henry frei zum Kopfball, scheiterte aber. Und Zidane? Es wäre nicht aufgefallen, wenn er zur zweiten Halbzeit in der Kabine geblieben wäre. Im 27. Spiel unter Santini hat Frankreich seine zweite Niederlage hinnehmen müssen. Die Sensation war perfekt, eine Ära zu Ende: Die Mannschaft, die längst keine mehr war, ist ausgeschieden. Griechenland ist weiter und spielt im Halbfinale gegen Tschechien oder Dänemark. Schöne Träume.

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