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Durchstarten oder auf der Stelle treten? Der momentane Zweitliga-Kader von Hertha BSC muss punktuell verstärkt werden, um in der Bundesliga zu bestehen. Darüber sind sich Vereinsspitze und Anhang einig.

© Ottmar Winter

Analyse des Kaders: Ist Hertha reif für die Bundesliga?

Hertha BSC kehrt in die Fußball-Bundesliga zurück. Doch wie erstligatauglich sind Herthas Mannschaftsteile? Und kann Ronny seine zweite Chance in der Ersten Liga nutzen? Eine Analyse.

Nach dem feststehenden Aufstieg hat Hertha BSC auch beim 3:2-Sieg gegen den FC St. Pauli drei weitere Punkte für die Zweitliga- Meisterschaft gesammelt. Dass die Berliner den Wiederaufstieg schaffen, hatte sich seit langem abgezeichnet, und etwa genauso lange diskutieren die Fans, ob der Kader schon für die höhere Spielklasse reicht oder wie viele Verstärkungen nötig sind.

Torhüter: Thomas Kraft hat seine Bundesligatauglichkeit längst nachgewiesen – nicht nur in der Vorsaison bei Hertha, sondern auch beim FC Bayern, für den er sogar viermal in der Champions League gespielt hat. Trainer Jos Luhukay schätzt seinen Torhüter als wichtigen Stabilitätsfaktor und Bestandteil einer zentralen Achse, die Herthas Mannschaft Halt gibt. Kraft wurde in der Zweiten Liga selten geprüft, was die Sache für einen Torhüter nicht zwangsläufig einfacher macht. Doch in den wenigen Situationen, in denen er gefordert war, war auf ihn Verlass. Gröbere Fehler sind dem 24-Jährigen in dieser Saison nicht unterlaufen. Verbesserungswürdig ist sein Spiel mit dem Fuß.

Außenverteidigung: Peter Pekarik ist so etwas wie Herthas stiller Star. Er legt es nicht darauf an zu glänzen – und ist gerade deshalb für das Team enorm wichtig. Der Slowake, der Ende August verpflichtet wurde, hat sich als echte Verstärkung erwiesen. Pekarik wird rechts in der Viererkette auch in der Bundesliga keine großen Schwierigkeiten bekommen. Für die linke Seite lässt sich das mit dieser Gewissheit leider nicht behaupten. Fabian Holland, eine der Entdeckungen der Vorrunde, hat seine Aufgabe insgesamt solide erfüllt. Er ist gut ausgebildet, macht wenig Fehler, beschränkt sich aber fast ausschließlich auf die Defensive. Sein interner Konkurrent Lewan Kobiaschwili wird zu Beginn der neuen Saison 36 Jahre alt sein, und auch Felix Bastians hat trotz fast hundert Bundesliga-Einsätzen für den SC Freiburg noch nicht überzeugen können. Kein Wunder, dass Hertha wohl mit dem Düsseldorfer Johannes van den Bergh Verstärkung für diese Position verpflichten wird.

Innenverteidigung: Für Jos Luhukay ist Fabian Lustenberger der beste Innenverteidiger der Zweiten Liga. Der Schweizer hat eine überragende Saison hinter sich, und dass er eigentlich im Mittelfeld zu Hause ist, macht seine Leistung nur noch bemerkenswerter. Trotzdem bleibt die Frage: Reicht es bei Lustenberger auch für die Bundesliga, wo die Stürmer bulliger und/oder schneller sind und Herthas Defensive noch dazu sehr viel mehr zu tun bekommen wird als in dieser Saison? „Die Frage habe ich mir auch schon gestellt“, hat Lustenberger vor kurzem gesagt – und dann beschlossen, dass sie noch nicht relevant ist. Was für den knapp 25-Jährigen spricht, ist sein außergewöhnliches Spielverständnis, mit dem er vermeintliche körperliche Defizite wettmacht. Zudem hat Lustenberger mit John-Anthony Brooks einen kongenialen Partner an seiner Seite. Der 20-Jährige hat zwar noch kein Bundesligaspiel bestritten, in dieser Saison aber in seiner Entwicklung einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. „Die Konstanz in seinen Leistungen ist nicht selbstverständlich für einen Jungen in seinem Alter“, sagt Luhukay, der Brooks vor allem für seine Spieleröffnung und das Antizipationsvermögen lobt. Es ist kein Zufall, dass der U-20-Nationalspieler keine einzige Gelbe Karte gesehen hat. Natürlich wird Brooks in der Bundesliga vor anderen Herausforderungen stehen und in der Hektik des Geschehens auch mal einen (möglicherweise entscheidenden) Fehler machen. Aber das wird Hertha nicht nur aushalten, sondern vor allem als Investition in die Zukunft verstehen müssen.

Defensives Mittelfeld: Peter Niemeyer kann seine Fähigkeiten durchaus realistisch einschätzen. Er weiß, dass er kein Zauberer am Ball ist und auch keiner mehr werden wird. Sein Fachgebiet heißt: rackern und kämpfen. Viele sehen ihn daher in der Zweiten Liga bestens aufgehoben. In der Tat bleibt bei ihm ein gewisses Restrisiko: Reicht Niemeyers Qualität auch für die Bundesliga? Zumal er mit bald 30 nicht mehr der Jüngste ist. In ähnlichem Maße gilt das für seinen Nebenmann Peer Kluge, der exakt drei Jahre älter ist. An Kluges Technik und seinem Spielverständnis gibt es nichts auszusetzen, allerdings hat er nicht erst in fortgeschrittenem Alter immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen. Er fehlt auch heute in Hamburg (Adduktorenzerrung). In der neuen Saison kann das durchaus ein Problem werden – wenn man sich nämlich anschaut, wer als Ersatz für diese sensible Position zur Verfügung stünde. Von allen möglichen und unmöglichen Kandidaten – Alfredo Morales, Marvin Knoll, Roman Hubnik, Christoph Janker, Lewan Kobiaschwili, Marcel Ndjeng – macht keiner die Mannschaft wirklich besser. Luhukay hält sich daher die Option offen, Aushilfsinnenverteidiger Fabian Lustenberger wieder aus der Abwehr ins Mittelfeld vorzuziehen.

Nirgendwo hat Luhukay so viel Personal wie auf den offensiven Außenbahnen

Durchstarten oder auf der Stelle treten? Der momentane Zweitliga-Kader von Hertha BSC muss punktuell verstärkt werden, um in der Bundesliga zu bestehen. Darüber sind sich Vereinsspitze und Anhang einig.
Durchstarten oder auf der Stelle treten? Der momentane Zweitliga-Kader von Hertha BSC muss punktuell verstärkt werden, um in der Bundesliga zu bestehen. Darüber sind sich Vereinsspitze und Anhang einig.

© Ottmar Winter

Offensive Außenbahn: Auf keiner Position steht Trainer Luhukay so viel Personal zur Verfügung wie für die beiden offensiven Außenbahnen. Man muss allerdings auch sagen: Auf keiner gibt es, gerade im Hinblick auf die Bundesliga, so viel Mittelmaß. Marcel Ndjeng, Luhukays Nummer eins für die rechte Seite, hat nachgewiesen, dass er ein guter Zweitligaspieler ist. Genauso aber hat er nachgewiesen, dass die Bundesliga eine Nummer zu groß für ihn ist. Mit inzwischen fast 31 Jahren kommt er auf gerade 40 Einsätze in der höchsten Spielklasse. Auch Änis Ben-Hatira wartet im Grunde noch auf seinen Durchbruch, ist allerdings mit bald 24 noch ein gutes Stück jünger als Ndjeng. Luhukay schätzt Ben-Hatiras Qualität am Ball; was dem Tunesier fehlt, ist Konstanz. Gerade in der nächsten Saison aber, wenn es für Hertha mutmaßlich gegen den Abstieg geht, wird nichts wichtiger sein als Verlässlichkeit. Auch deshalb sucht der Klub für diese Position noch Verstärkung: Als Kandidaten werden Karim Matmour (Eintracht Frankfurt) und Leverkusens Karim Bellarabi genannt.

Zentrales Mittelfeld: 16 Tore, 13 Vorlagen – mit dieser Bilanz ist Ronny in dieser Saison zum herausragenden Spieler der Zweiten Liga aufgestiegen. Und trotzdem bestehen Zweifel an seiner Bundesligatauglichkeit. Kommt er mit der höheren Geschwindigkeit zurecht? Mit der verschärften Intensität? Ist er bereit, seinen läuferischen Aufwand zu steigern? Die Erfahrungen aus der vergangenen Saison sprechen nicht unbedingt dafür. Aber da hieß Herthas Trainer auch noch nicht Jos Luhukay. Der Holländer hat offensichtlich den richtigen Zugang zu Ronny gefunden; er hat ihm Vertrauen entgegengebracht wie kein anderer Trainer bei Hertha zuvor. Und dieses Vertrauen gilt auch für die nächste Saison. „Seine Qualität ist umfangreich“, sagt Luhukay. „Ich traue ihm auf jeden Fall eine so dominante Rolle in der Bundesliga zu.“

Sturm: Wenn man wissen will, was Hertha der Konkurrenz in der Zweiten Liga voraus hatte, muss man nur auf die Ersatzbank der Berliner schauen. Da saß zuletzt Pierre-Michel Lasogga, für den der VfB Stuttgart im Winter vier Millionen Euro geboten hat. An Adrian Ramos kommt der U-21-Nationalspieler trotzdem nicht vorbei. Glücklich, wer sich diesen Luxus erlauben kann. Ramos und Lasogga sind ohne Frage gut genug für die Bundesliga. Dahinter stehen mit Sami Allagui und Sandro Wagner zwei weitere Angreifer bereit. Quantitativ reicht das auf jeden Fall für die Bundesliga, qualitativ – dank Ramos und Lasogga – auch.

Fazit: Fortuna Düsseldorf hat nach dem Bundesligaaufstieg vor einem Jahr einen kompletten Kader verpflichtet, um der neuen Herausforderung gerecht zu werden. Diesen Weg wird Hertha definitiv nicht gehen. Das Personal soll nur punktuell ergänzt werden; drei bis vier Zugänge erachtet Luhukay für notwendig – weil er davon überzeugt ist, dass individuelle Klasse allein nicht entscheidend ist. Auf die Mannschaft und den Teamgeist kommt es an, und auch auf einen Plan beim Fußballspielen. „Der Zusammenhalt bei uns ist richtig gut“, sagt Änis Ben-Hatira. Das ist in Zeiten des Erfolgs nicht ungewöhnlich. Wenn der Zusammenhalt auch bei durchaus möglichen Rückschlägen in der Bundesliga nicht leidet, hat Hertha gute Chancen, dem Abstieg zu entgehen.

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