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Frische Führungsebene. Cacau, Schweinsteiger, Müller, Khedira und Marin (v. l.) bejubeln das 3:1 gegen Bosnien.

© dpa

Analyse: So kann man angreifen

Die deutsche Nationalelf hat gegen Bosnien mit Offensivgeist geglänzt – und einer neuen Hierarchie im Team. Unser WM-Reporter Sven Goldmann analysiert das letzte WM-Testspiel.

Kurz vor Schluss, als der Ball gerade weit weg war und der Gegner nach Atem rang, nahm Sami Khedira seinen Kollegen Marko Marin zur Seite. Die beiden gaben ein komisches Paar ab: Der lange Khedira mit der wehenden schwarzen Mähne, wie er auf den kleinen, windschnittigen Marin einredete und gestikulierte. Es war ein einseitiges Gespräch. Marin hörte aufmerksam zu und nahm die Anweisungen entgegen vom neuen Juniorchef, der doch erst seit zwei Wochen Verantwortung trägt in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Aber Autorität leitet sich eben nicht nur von Betriebszugehörigkeit und alten Verdiensten ab, sondern von der Leistung auf dem Platz, hier und jetzt.

Am Donnerstag, beim 3:1 (0:1)-Sieg über Bosnien-Herzegowina im letzten Test vor der Weltmeisterschaft in Südafrika, füllte Sami Khedira seine Position mit so großer Autorität aus, als hätte er in der Hierarchie schon immer ganz oben gestanden. Die Mannschaft ordnete sich jedenfalls bereitwillig unter. So wie Marin, der dem Spiel nach seiner Einwechslung mit großartigen Dribblings die Wende gegeben hatte und später doch nur bescheiden anmerkte, er habe der Mannschaft lediglich helfen wollen.

Wenn es in der Hierarchie stimmt, stimmt es auch auf dem Platz, und vielleicht hat die deutsche Mannschaft durch den Ausfall von Michael Ballack gar nicht so viel verloren, wie es in der ersten Bestürzung über die Verletzung des Kapitäns den Anschein hatte. Ballack war die unantastbare Autorität auf dem Platz, aber schon bei der allein vom Ergebnis her erfreulichen EM vor zwei Jahre hatten sich vor allem die jüngeren Spieler am rauen Ton seiner Ansprache gestört. Auch dass der Kapitän sich öffentlich stark gemacht hatte für seinen gealterten Passmann Torsten Frings, war nicht bei jedem Mitspieler gut angekommen.

Der Generationswechsel hätte ohnehin irgendwann erfolgen müssen. Wie von selbst hat sich nun in den vergangenen Wochen beim gemeinsamen Üben auf Sizilien und in Südtirol eine neue Führungsebene herausgebildet. Wie stabil sie ist, das wird sich erst unter Extrembedingungen zeigen, bei der WM in Südafrika. „Wichtig ist, dass jetzt jeder Spieler auf dem Platz etwas Verantwortung übernehmen muss“, befand Bastian Schweinsteiger, der am Donnerstag in Frankfurt erstmals gemeinsam mit Khedira das zentrale defensive Mittelfeld verantwortet hatte. Nach anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten ging das Experiment auf und ließ Bundestrainer Joachim Löw „sehr, sehr zufrieden“ zurück.

Es war vor allem der mitreißende Stil der Mannschaft, der bei den 48 000 Zuschauern in Frankfurt und bei Löw die Zuversicht wachsen ließ vor dem Abflug nach Johannesburg. Die Deutschen traktierten ihren technisch starken Gegner mit einer im deutschen Fußball so oft nicht erlebten Synthese von künstlerischem Verständnis und kämpferischem Einsatz. Seit dem Rücktritt von Bernd Schneider hatte die Nationalmannschaft in ihren Reihen nicht mehr einen so begnadeten Fußballspieler wie Mesut Özil. Dem Bremer gelang wie schon vor einer Woche in Budapest mit spielerischer Leichtigkeit, was man nicht lernen kann. Entfalten kann er seine außergewöhnliche Begabung durch die von Khedira und Schweinsteiger organisierte Absicherung in der Zentrale.

Dazu ist die Mannschaft unberechenbarer geworden. Als Joachim Löw in der zweiten Halbzeit die Flügelpositionen mit Thomas Müller (rechts) und Marko Marin (links) neu besetzte und den immer noch vom langen Sitzen auf der Münchner Ersatzbank geschwächten und einmal mehr völlig desorientierten Mittelstürmer Miroslav Klose durch Cacau ersetzte, brach das bosnische Defensivgefüge völlig zusammen. Marin holte mit einem seiner Zauberdribblings den ersten Elfmeter heraus, Müller mit ansatzlosem Sprint den zweiten, beide Male glänzte Schweinsteiger als nervenstarker Exekutor. „Die zweite Hälfte war wirklich sehr gut“, sagte Müller und wollte dies gewiss verstanden wissen als Bewerbung um einen Platz in der Startelf zum WM-Auftakt am 13. Juni in Durban gegen Australien.

Ob man die Mannschaft manchmal nicht bremsen müsse in ihrem Spieltrieb, ist Bundestrainer Joachim Löw in Frankfurt gefragt worden, und der Bundestrainer hat entschieden geantwortet: „Nein, nein, auf gar keinen Fall. In manchem Spiel wird ein Tor gar nicht reichen.“ Dann muss man eben zwei schießen oder drei, wie es den Deutschen gegen die Bosnier gelang. Wie sie das Spiel nach einem mehr als unglücklichen 0:1-Rückstand noch drehten, das deutete die Klasse an, die diese Mannschaft sich bei der WM in Südafrika erarbeiten kann. Denn noch sei nichts erreicht, mahnte Bastian Schweinsteiger, „Freundschaftsspiel bleibt Freundschaftsspiel“, und wenn es in gut einer Woche gegen Australien losgehe, „wird es ein anderes Spiel. Wir müssen erst mal die Gruppenphase überstehen und dann können wir weiterschauen. Vielleicht kommen wir dann in eine Euphoriewelle.“

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