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Fliegender Wechsel. Andreas Müller (l.) und Andreas Graf.

© Imago/Nordphoto

Andreas Müller und die Sixdays: Der Klassensprecher und sein Wohnzimmer

Der Berliner Andreas Müller ist beim Sechstagerennen seit 17 Jahren immer am Start. Sein Wort zählt im Velodrom - zumal auch die Leistung stimmt.

Im Velodrom ist es während des Sechstagerennens eigentlich immer laut. Und das nicht erst, seitdem die neuen britischen Besitzer die Sixdays modernisieren wollen. Die Zuschauer jubeln und pfeifen, die Musik dröhnt aus den Boxen und der Hallensprecher schreit gegen den Lärm an. Da scheint eine Steigerung kaum möglich. Bis ein Publikumsliebling wie Andreas Müller zur Attacke ansetzt.

Der 37-Jährige startet zwar für Österreich, ist jedoch in Berlin geboren und verwurzelt. Beim Sechstagerennen in seiner Heimatstadt ist er bereits zum 17. Mal in Folge dabei – ein Rekord, zumindest seit dem Umzug ins Velodrom Ende der Neunzigerjahre. „Natürlich freut sich das Publikum mehr, wenn ein Berliner vorne ist, als wenn ein Belgier gewinnt“, sagt Müller. Das merke man auch bei Geschwindigkeiten von mehr als 50 Stundenkilometern auf dem Rad. An Motivation mangelt es Müller in Berlin nie.

Auch wenn er nach Querelen im Umfeld der deutschen Nationalmannschaft seit 2008 für Österreich fährt, wohnt Müller weiter nur wenige Fußminuten entfernt vom Velodrom in Prenzlauer Berg. Wobei „wohnen“ bei professionellen Radsportlern ein sehr dehnbarer Begriff ist. Maximal drei bis vier Wochen pro Jahr mache er Urlaub, die restliche Zeit gehört seiner zum Beruf gemachten Leidenschaft. „Wir Radfahrer sind eigentlich auf der Landstraße und in Hotels zuhause“, sagt Müller.

Wie viele Bahnradsportler fährt er außerhalb der Sechstage-Saison im Frühjahr und Sommer Straßenrennen. Dazu kommt viel Training, Pflege des Materials sowie des Körpers, Selbstmarketing und Sponsorentermine. Ein Fulltime-Job. Das gilt auch für die Zeit des Berliner Sechstagerennens. „Früher dachte ich mal: Um 19 Uhr gehen die Rennen los, das ist ja entspannt“, erzählt Müller und lacht. Freizeit bleibe bei aller Vorbereitung und den oft zu kurzen Ruhezeiten aber kaum.

Müller startet seit 2008 für Österreich, ist aber gebürtiger Berliner

Müller und sein österreichischer Teampartner Andreas Graf liegen vor dem Schlusstag als Gesamtvierte noch aussichtsreich im Rennen. „Auf die Top 5 haben wir von Anfang an spekuliert“, sagt Müller. „In Rotterdam und Bremen war die Form schon gut.“

Unabhängig von den Platzierungen genießt der Sixdays-Veteran großes Ansehen bei Publikum, Fahrern und Verantwortlichen. Das zeigte sich am Sonntag gleich in doppelter Hinsicht. Als er bei der Großen Jagd nach nur zwei Minuten zum Angriff ansetzte und mit Graf einen schnellen Rundengewinn herausholte, wurde es auf den zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich leeren Rängen noch einmal laut. „Andreas Müller fährt momentan ausgezeichnet“, sagt auch Dieter Stein. Der Sportliche Leiter weiß, was er an Fahrern wie Müller hat. Dessen Wort hat bei den Veranstaltern Gewicht.

Dass nach dem dritten Tag beschlossen wurde, bei den Jagden wieder Zwischenwertungen durchzuführen, hatte vor allem mit Andreas Müller zu tun. „Ich habe den Vorschlag um drei Uhr nachts gebracht und zum Sonntag wurde das umgesetzt“, sagte Müller - und zeigte sich positiv überrascht von der Flexibilität der Rennleitung.

Als dienstältester Fahrer ist Müller so etwas wie der Klassensprecher. „Ich habe ja eine Verantwortung: Das Sechstagerennen soll attraktiv bleiben – auch wenn ich irgendwann nicht mehr dabei bin“, sagt Andreas Müller. Das kann allerdings noch dauern. Denn an ein Karriereende denkt der 37-Jährige noch nicht: „So lange ich Spaß habe und nicht immer nur hinterherfahre, mache ich weiter.“Julian Graeber

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